
Dieser Artikel ist in der Sommerausgabe 2024 des ÖKAS Fachmagazins analyse:berg erschienen. Werden Sie Abonnent von analyse:berg. So bekommen Sie die Magazine gleich nach Erscheinen bequem nach Hause geliefert und unterstützen gleichzeitig die Arbeit des ÖKAS.
Gladiatorenkämpfe und FKT’s
Was war los an den hohen Bergen im Jahr 2024?
Autor:
Lukas Furtenbach
Gründer Furtenbach Adventures
China, Waffenstillstand & alle 14 oder 7
Nachdem China im Frühjahr die tibetische Nordseite des Everest erstmalig seit 2019 wieder für Ausländer geöffnet hat und in Folge auch im Herbst den Zugang zu Cho Oyu und Shishapangma ermöglicht hat, purzelten die Rekorde.
Eine Vielzahl von Bergsteigern gesellte sich mit den letzten beiden Achttausendern, die so lange nicht bestiegen werden konnten, in den exklusiven Club zu Reinhold Messner, alle 14 Achttauender bestiegen zu haben. In welchem Stil auch immer. Bei einer Gipfelsammlung zählt ja der Gipfel und nicht der Weg dorthin. Als dann für Oktober noch ein Waffenstillstand mit den Rebellen um die Carstensz Pyramide verhandelt wurde und auch dieser Berg seit 2019 erstmalig wieder bestiegen werden konnte, komplettierten viele Bergsteiger ihre Seven Summits Kollektion in der – auch hier – Messner Variante. Beschützt von schwer bewaffneten Soldaten.
Das Höhenbergsteigen hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Technologien, Ausrüstung und nicht zuletzt die Kommerzialisierung des Bergsteigens in all (!) ihren Facetten haben das Bild des klassischen „Abenteurers“ verändert.
Zunehmend mehr Menschen erreichen die Gipfel der höchsten Berge der Welt immer schneller, jedoch stellen sich immer wieder Fragen hinsichtlich der Konsequenzen dieser Entwicklungen. Während Innovationen in der Technik und der Infrastruktur das Bergsteigen sicherer gemacht haben, führt die zunehmende Kommerzialisierung auch zu einem Verlust von Tradition und Authentizität. Was aber sind Tradition und Authentizität im Bergsport überhaupt? Dazu später.
Coming soon: Everest in einer Woche
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Technologie im Höhenbergsteigen enorm weiterentwickelt. Satellitenkommunikation und moderne Wettervorhersagemodelle ermöglichen es den Bergsteigern, besser zu kommunizieren, sich besser zu orientieren und sich vor unerwarteten Wetterumschwüngen zu schützen. Fortschritte bei der Ausrüstung – von ultraleichten Zelten über hochmoderne Sauerstoffsysteme bis hin zu beheizter Kleidung – haben das Bergsteigen nicht nur komfortabler, sondern auch sicherer gemacht.
Vorakklimatisation in simulierter Höhe zu Hause oder neuerdings auch durch Behandlung mittels einer speziellen Edelgasmischung revolutionieren das Höhenbergsteigen, sowohl die Dauer für Expeditionen als auch Strategie und Taktik. Achttausender in unter zwei Wochen, Sechstausender in einer Woche von zu Hause aus oder mehrere Berge im Rahmen einer (kurzen) Expedition sind inzwischen nichts Besonderes mehr. Wir sind nur mehr einen Steinwurf vom „Everest in einer Woche“ entfernt (Launch im Frühjahr 2025).
Schnell & sicher
Außerdem haben wir im vergangenen Jahr eine Zunahme von Meldungen über neue FKT‘s (Fastest Known Time) an hohen Bergen vernommen. Am beeindruckendsten waren wohl Tyler Andrews‘ 9 h 52 min am Manaslu (8.163 m) im vergangenen September für eine Besteigung ab dem Basecamp zum Gipfel ohne Sauerstoff. Aber auch seine 3 h 52 min an der Ama Dablam (6.812 m) einen Monat später sind grandios.
Bei den Frauen geht es auch um Geschwindigkeit. Fernanda Maciel‘s Roundtrip an der Carstensz Pyramide in 1 h 48 min stellt ebenso eine neue FKT dar, wie auch die „Female FKT“ von Laura Dahlmeier an der Ama Dablam mit 8 h 24 min. Beide Rekorde fielen in diesem Herbst und sie stehen nur exemplarisch für eine ganz Reihe weiterer Rekorde, die heuer von Männern und Frauen an diversen Bergen und Routen aufgestellt worden sind.
Diese FKT-Projekte spielten sich allesamt im Bereich der Infrastruktur kommerzieller Expeditionsveranstalter auf den Normalwegen dieser Berge ab. Diese Infrastruktur bietet das nötige Sicherheitsnetz und ermöglicht erst so schnelle Besteigungen, weil in gefährlichen oder schwierigen Passagen an den Fixseilen auf- und abgestiegen werden kann.
Gefallene Gladiatoren
So weit so gut. Was in diesem Jahr gleichgeblieben ist, waren die Meldungen über Unfälle, Todesfälle, Dramen und Beinahe-Dramen an den hohen Bergen. Die russische Kamikaze Expedition am Dhaulagiri mit fünf Toten, Mike Gardner am Jannu oder Ondro Husarka am Langtang Lirung um nur einige zu nennen. Sie alle waren in einem „cleanen“ oder „puristischen“ Stil am Berg unterwegs, als sie gestorben sind. Ein Stil, der auf Sicherheitsreserven weitestgehend verzichtet und bei dem das hohe individuelle Sterberisiko akzeptiert wird. Ein Stil, der von vielen Persönlichkeiten im Alpinismus als der einzig wahre eingefordert wird und mitunter als ein „sauberer“ Stil bezeichnet wird. Gemeint sind damit meist alpinistische Authentizität und Tradition in ihrer ursprünglichsten Form, also die Möglichkeit, dabei sterben zu können. Willkommen im Circus Maximus.
Wenn diese meist jungen (und männlichen) Gladiatoren dann ihrem „sauberen“ Kletterstil zum Opfer fallen, und das tun sie in hoher Zahl und in erschreckender Regelmäßigkeit, ist die Bestürzung in Medien und der Community groß und es wird über den tragischen Verlust von talentierten Bergsteigern getrauert, deren Stil so inspirierend und unverfälscht war. Der Stil wird selbst nach ihrem Tod noch glorifiziert. Und ermutigt damit weitere junge Bergsteiger, diesem Ideal, oder dieser Ideologie zu folgen und dabei zu sterben.
Diese bipolare Entwicklung – der Verlust der Herausforderung durch Kommerzialisierung auf der einen Seite und die Suche nach Authentizität und Tradition durch heldenhaften Gladiatorentod auf der anderen Seite hat mitunter kuriose Begleiterscheinungen. Da sind beispielsweise der Youtuber Inoxtag, der mit seinem Film über seine Everestbesteigung dieses Frühjahr in wenigen Stunden ein Millionenpublikum erreichte, Influencerinnen, die als Quereinsteiger alle 14 Achttausender besteigen, oder „echter“ Alpinismus auf einer Neuroute, die buchstäblich wenige Meter neben dem Fixseilbündel an der Ama Dablam stattfindet. Immer wieder unterbrochen vom Raunen über verunglückte Bergsteiger, die im Gegensatz zu den Bergtouristen noch ohne üble Nachrede sterben dürfen.
„Die ‚Gipfel-Philosophie‘ hat sich im Jahr 2024 verändert.
Was früher als extrem herausfordernde Expedition galt,
ist nun je nach Lager entweder zu einer formelhaften
touristischen Erfahrung oder zu einem banalen Schauplatz
für einen Rekord geworden.
Alpinismus und Tourismus haben beide ihre
frühere Unschuld verloren.“
Gladiator Fights and FKT’s
What happened in the high mountains in 2024?
Author:
Lukas Furtenbach
Founder of Furtenbach Adventures
Translation:
Rolando Garibotti
China, ceasefire & all 14 or 7
When China reopened the Tibetan north side of Everest to foreigners in spring, for the first time since 2019, and later allowed access to Cho Oyu and Shishapangma in autumn, records quickly began to fall. With these long-inaccessible peaks finally back in play, a wave of climbers joined Reinhold Messner in the exclusive club of those who’ve summited all 14 eight-thousanders – style of ascent not withstanding. When it comes to summit collections, it seems, the summit is what counts, not how you get there.
Later in October, a ceasefire with rebels near the Carstensz Pyramid allowed ascents for the first time since 2019. Under the protection of heavily armed soldiers, many took advantage of this rare opportunity to complete their Seven Summits collection – in the Messner version.
In recent years, high-altitude mountaineering has evolved rapidly. Technology, advanced equipment, and above all, the commercialization of nearly every aspect of the sport have reshaped the image of the traditional “adventurer”. While technical innovation and infrastructure have undeniably improved safety and comfort, the increasing commercialization has raised questions about the loss of authenticity and tradition. But what do those words really mean in a modern mountaineering context? More on that shortly.
Coming soon: Everest in a Week
Over the past few decades, technology has revolutionized high-altitude mountaineering. Satellite communications and modern weather forecasting allow for constant connectivity, safer planning and real-time adaptation. Gear innovations, from ultra-light tents and high-efficiency oxygen systems to heated clothing, have made mountaineering safer and more accessible.
Pre-acclimatization at home in altitude-simulating environments, or more recently through specialized noble gas treatments, is redefining high-altitude mountaineering, both in terms of the duration of expeditions as well as strategy and tactics. Climbing an 8,000-meter peak in under two weeks, a 6,000er in one week, or combining multiple summits in a short expedition is no longer remarkable. We are just a step away from „Everest in a week,” slated to launch in spring 2025.
Fast & Safe
Last year also saw an increase in reports of new FKTs (Fastest Known Times) on major peaks. Among the most impressive was Tyler Andrews’ 9-hour, 52-minute ascent of Manaslu (8,163 m) from base camp to summit, without supplemental oxygen, in September. Just a month later, he clocked a 3-hour, 52-minute ascent of Ama Dablam (6,812 m), another stunning achievement.
Women, too, are breaking speed records. Fernanda Maciel set a new FKT on Carstensz Pyramid with a round-trip time of 1 hour and 48 minutes, while Laura Dahlmeier posted a female FKT on Ama Dablam in 8 hours and 24 minutes. Both records were set in the autumn, adding to a growing list of speed accomplishments by both men and women on various peaks and routes.
All of these FKTs took place within the framework of commercial expedition infrastructure and followed normal routes. This infrastructure, especially fixed ropes in hazardous or technical sections – provided the crucial safety net that made such rapid ascents possible.
Fallen Gladiators
Yet despite all this progress, the frequency of accidents, fatalities, and near-misses in the high mountains remains unchanged. The Russian „kamikaze expedition“ on Dhaulagiri left five dead; Mike Gardner perished on Jannu, and Ondro Husarka on Langtang Lirung. The latter two were climbing in what’s often described as a „clean“ or „pure“ style – eschewing safety margins and embracing high personal risk. This style, regarded by many within the alpine community as the only ”true” form of ascent, celebrates authenticity and tradition in their most extreme form, heightening exposure and the possibility of death. Welcome to the Circus Maximus.
When these mostly young (and male) gladiators fall victim to this ethos, and they do, in large numbers and with alarming regularity, there is consternation in the community and media, mourning their loss while celebrating their commitment and purity of style. Even in death, their choices are glorified, inspiring others to follow the same perilous path.
This polarization – between a commercialized version of mountaineering on the one hand, and the pursuit of “authenticity” through potentially fatal ideals on the other – produces some strange contradictions. Take, for instance, YouTuber Inoxtag, whose Everest ascent video reached millions within hours. Or influencers tackling all 14 eight-thousanders as a sudden career change. Or self-proclaimed purists climbing “new routes” just meters away from the bundles of fixed lines on Ama Dablam. These headlines are regularly punctuated by the deaths of so-called pure alpinists – deaths that, unlike those of “mountain tourists,” are still viewed as noble and untouchable.
„The ’summit philosophy‘ shifted in 2024.
Expeditions once seen as extreme and demanding
have increasingly become formulaic tourist experiences
or mere platforms for record-setting.
Both mountaineering and adventure tourism
have lost the sense of innocence they once held.“
Links & Publikationen:

- Fachmagazin analyse:berg Winter 2024/25 (Betrachtungszeitraum: 01.11.2023 bis 31.10.2024) Bestellungen im Shop.
- Fachmagazin analyse:berg Sommer 2024 (Betrachtungszeitraum: 01.11.2022 bis 31.10.2023) – Bestellungen im Shop.
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- Chefredakteur: Peter Plattner peter.plattner@alpinesicherheit.at
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Susanna Mitterer, Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit, Olympiastr. 39, 6020 Innsbruck, susanna.mitterer@alpinesicherheit.at, Tel. +43 512 365451-13