
„Es muss kürzer, sicherer und erfolgreicher sein.“
Lukas Furtenbach, 48 Jahre, ist Inhaber von „Furtenbach Adventures“. Er und sein Team veranstalten seit 2014 Expeditionen auf der ganzen Welt. Ein Schwerpunkt ist der Everest, für den mit kurzen und sicheren Expeditionen geworben wird. Lukas Furtenbach ist weder IVBV-Bergführer, noch Profialpinist, stand aber selbst mehrmals am Gipfel des Everest und beschäftigt sich seit 2007 mit verschiedenen Akklimatisationstechniken – im Besonderen mit der Hypoxie-Vorbereitung zu Hause und zuletzt mit dem Edelgas Xenon. Mit diesen neuen Ansätzen stößt er im traditionell geprägten Höhenbergsteigen auf wenig Zustimmung und viel Kritik, obwohl es bei seinen 8.000er-Expeditionen bisher keinen tödlichen Unfall gab. Mit der erfolgreichen 7-Tage-Everestexpedition im Frühjahr 2025 erreichten die Diskussionen rund ums „echte“ Höhenbergsteigen, Doping und Ethik ihren bisherigen Höhepunkt.
Wir haben Lukas Furtenbach gefragt, wie sein Geschäftsmodell aussieht, was er anders macht und wie er mit der Kritik umgeht.
Im Gespräch:
Lukas Furtenbach
Lukas Furtenbach, Inhaber des Expeditionsveranstalters „Furtenbach Adventures“
Interview:
Peter Plattner und Christina Schwann

↑ Lukas Furtenbach nach dem Gespräch mit analyse:berg.
Foto: argonaut.pro
a:b
Welche Berge kann ich bei dir buchen?
LF
Die Seven Summits, sechs der anderen 14 Achttausender, Nord- und Südpol für den Explorers Grand Slam (auf Nachfrage der Redaktion: d. h. die Seven Summits plus die zwei Pole) und verschiedene Sechs- und Siebentausender in Nepal und Südamerika, die hauptsächlich zur Vorbereitung für den Mount Everest oder andere Achttausender dienen.
a:b
Wie war die Entwicklung von klassischen Expeditionen bis zur 1-Woche-Flash-Everest?
LF
Meine ursprüngliche Idee war, von den beliebten und begehrten Gipfeln wegzubleiben und mich auf exotische, unbekannte Berge zu konzentrieren. Eine schöne Idee, die sich aber nicht verkaufen lässt. Dafür gibt es bei uns keinen Markt.
Aus einer wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus habe ich den Fokus also auf die bekannteren Berge gerichtet. Hier war die Frage, wie wir in diesem sehr kompetitiven Markt mit vielen Anbietern in jeder Preisklasse unseren Platz finden können: Jeder kann die gleichen Bergführer engagieren, jeder kann denselben Komfort und Luxus bieten – das ist alles leicht reproduzierbar. Wo ich allerdings schon immer ein Problem sah und damit auch meine Nische erkannte, war die Expeditionsdauer: Sie ist zu lang bei gleichzeitig zu niederer Erfolgsquote. So war es normal, dass man zehn Wochen für eine 50-prozentige Gipfelchance investieren musste.
Und hier setzte ich an. Die Expeditionsdauer kann man durch Vorakklimatisation zu Hause reduzieren, womit man auch gleichzeitig die Dauer des Aufenthalts in einer gefährlichen Umgebung verkürzt, was die Expedition sicherer macht. Und um die Erfolgsquote zu erhöhen, muss man den Level an Support erhöhen. Diesen Fokus hatte niemand anderer am Markt und es war klar, dass wir unseren Platz finden, wenn wir es schaffen, das umzusetzen.
Hypoxie-Vorwissen war schon vorhanden. Ich war selbst 1999 als Proband bei einer Studie von Martin Burtscher dabei und arbeite seither in regelmäßigem Austausch mit ihm. Die Arbeit an den Themen Sicherheit und Support war verhältnismäßig einfach – hier brauchte es vor allem Unfallanalysen, um zu sehen, was man verbessern kann.
Der Durchbruch kam mit unserer ersten Everest-Expedition 2016. Diese kam nur zustande, weil ich von der Pro7-Sat1-Gruppe angefragt wurde, ob ich bei ihrer Everest-Dokumentation mitmachen möchte. Zu dieser Zeit hatten wir aber noch keine Kunden und es war klar, dass auch niemand bei uns buchen würde. Schließlich waren wir noch nie am Gipfel, hatten keine Everest-Erfahrung und auch keine Bergführer u. s. w. Warum also sollte uns irgendjemand auch nur annähernd so viel Geld zahlen, wie einem Mitbewerber mit langer Everest-Historie?
Die Idee war daher, gleich unser Konzept der kurzen Expedition mit Hypoxie-Vorbereitung anzubieten, einen Großteil der Kosten über die Filmproduktion zu decken und damit – ganz fies – Kunden durch einen sehr niedrigen Preis bei gleichzeitig hoher Leistung zu gewinnen. Dadurch bekamen wir tatsächlich sechs Kunden, die einen sehr günstigen Preis zahlten. Damit war die Expedition zwar nicht gewinnbringend, aber durch die Kombination mit der Filmproduktion zumindest kostendeckend. Die mediale Aufmerksamkeit war dafür umso größer. Nicht nur, weil es eine relativ kurze Expedition war, bei der sich zum ersten Mal ein ganzes Everest-Team vorakklimatisiert hatte, sondern auch, weil verschiedene Filmrekorde aufgestellt wurden: z. B. die ersten Drohnen am Everest, die erste 4K-Produktion und die erste 360°-Produktion.
Für das Folgejahr hatten wir dadurch schnell Buchungen zum marktüblichen Preis. Dennoch wussten wir, es gab noch viel Potenzial für Optimierungen: für unser Team, für die Kunden, die Arbeitskräfte am Berg, die Dauer, die Qualität, den Komfort, die Sicherheit und für die Erfolgschancen. Das klar definierte Ziel war, die sichersten und erfolgreichsten Everest-Anbieter zu werden.

In dieser Zeit änderte sich das Marktumfeld gerade gravierend. Große Player, egal ob amerikanische oder europäische Unternehmen, die bereits seit Jahrzehnten aktiv waren, kämpften mit starken Einbußen und waren insolvent oder kurz davor. Gründe waren die Preise zwischen $ 70.000,– und 80.000,– und das angebotene Produkt: ein Bergführer oder Expeditionsleiter, Sherpas und dazu mehr oder weniger eigenverantwortliche Kunden mit relativ wenig Support am Berg.
Gleichzeitig nahm der Marktanteil der „neuen“ nepalesischen Anbieter stark zu, die das exakt gleiche Produkt – allerdings ohne den westlichen Expeditionsleiter – für $ 20.000,– bis 30.000,– anboten.
Aus Befragungen weiß man, gut 90 Prozent der Everest-Kunden entscheiden nach den Kosten. Nur 10 Prozent wollen Sicherheit und hohe Erfolgschancen und schauen nicht auf den Preis. Ein Großteil der preissensitiven Kunden wechselte dann natürlich zu den nepalesischen Anbietern.
Diese machten die gleichen Fehler, wie die westlichen Anbieter in den 90er-Jahren. Sie arbeiteten nur auf Gewinnmaximierung und ließen alles andere außer Acht. So stagnierte auch dieser Aufschwung, allerdings auf einem Plateau.
Im Prinzip waren das ungeführte Expeditionen und wenn etwas passierte, wurde argumentiert, dass man am Everest eben sterben könne. Die Verantwortung wurde immer auf die Teilnehmer abgeschoben: „Ihr seid die Bergsteiger, wir stellen nur das Permit und die Logistik zur Verfügung“. Die Marktanteile pendelten sich bei rund 70 Prozent bei den Nepalesen und nur noch 30 Prozent bei westlichen Veranstaltern ein und in einer Phase von fünf bis acht Jahren gab es viele Unfälle und Todesfälle. Heute, nach vielen Verbesserungen der nepalesischen Anbieter, liegt das Verhältnis bei 60 Prozent nepalesische zu 40 Prozent westliche Anbieter.
Genau in dieser Zeit konzentrierten wir uns auf die Verbesserung unseres Produktes in Hinblick auf Sicherheit und Erfolgsquote. Das begann – und daran hat sich bis heute nichts geändert – bei der Auswahl der Teilnehmer. Nur wenn ich kompetente und fitte Kunden mitnehme, habe ich auch eine Chance, dass sie den Gipfel erreichen. Das hartnäckige Vorurteil, wir würden jeden mit rauf nehmen, sofern er nur genug zahle, ist schlichtweg Blödsinn. Das wäre für uns kontraproduktiv, da unsere Erfolgsquote langfristig gesehen in den Keller rasseln würde. Und dabei sind wir nicht nur sehr streng bei der Auswahl der Teilnehmer, sondern im Weiteren auch bei deren Vorbereitung: Sie müssen eine technische Ausbildung machen, eine Leistungsdiagnostik absolvieren, medizinische Checks durchlaufen etc. Tatsächlich verlangen wir so viel, dass nicht wenige unserer Kunden in diesem Prozess bereits wieder abspringen – weil sie es woanders einfacher bekommen. Aber uns hat diese strikte Vorgehensweise geholfen, dass wir seit der ersten Everest-Expedition eine 100-Prozent-Erfolgsquote aufweisen können. Gemeinsam mit einer hohen Investition in die Sicherheit sind das die beiden Hauptverkaufsargumente für uns.
Übrigens ist diese Erfolgsquote in Abstimmung mit der Himalaya-Database wie folgt definiert: Teilnehmer, die das Basecamp erreichen und den Summit Push Up ab Basecamp starten.
Das Investment in die Sicherheit geht vor allem über Sauerstoff, wobei der Schwerpunkt in der Sauerstofflogistik liegt. So wie beim kommerziellen Touristentauchen in den großen Destinationen muss es klare Kriterien und Protokolle geben. Bei uns gibt es einen Ablauf von Sicherheitschecks wie in der Luftfahrt. Es dürfen keine Fehler passieren und man darf sich nicht verkalkulieren, z. B. dass man am Südsattel zu wenige Flachen deponiert hat.
Um solche Fehler auszuschließen und ein entsprechendes System, welches auch genug Reserven beinhaltet, aufzusetzen, bedurfte es viel Kopfarbeit. Beim Tauchen geht niemand mit nur einem Atemregler unter Wasser. Beim Bergsteigen war ein Regler Standard. Wird dieses System beschädigt oder man verliert es, hat man nichts mehr – und es ist auch niemand anderer da, der ein zweites hat.
Ein großes Problem mit einer einfachen Lösung, welche allerdings Geld kostet. Bis kurz vor 2020 hat tatsächlich niemand daran gedacht, das System redundant zu machen. Für uns war von der ersten Expedition an klar, dass jedes Sauerstoffsystem da oben doppelt vorhanden sein muss: zweiter Regler, zweite Maske und der Sauerstoff an sich auch – und zwar für jeden Sherpa, Bergführer und Kunden.
Heuer haben die ersten anderen Veranstalter angefangen, 10 Prozent ihrer Sauerstoffsysteme redundant als Backup mitzuführen. Nach wie vor ist das aber kein Standard. Kann man ausschließen, dass jemand aufgrund mangelnder Sauerstoffversorgung stirbt, dann würde man 98 Prozent der Todesfälle vermeiden.
„Kann man ausschließen, dass da oben jemand aufgrund mangelnder
Sauerstoffversorgung stirbt, dann vermeidet man
98 Prozent der Todesfälle.“
a:b
Danke Lukas, für dieses tolle Werbestatement. Nur wissen wir seit 1978, dass es am Everest auch ohne Sauerstoff geht. Echte Bergsteiger sind eigenverantwortlich unterwegs und suchen das Abenteuer. Schon damals haben dir viele Höhenbergsteiger und Anbieter prophezeit, dass dein Weg der falsche ist und du Leute auf den Berg bringst, die dort nichts zu suchen haben.
LF
Ja, das kann man so sehen. Ein Bild, das konkret von einer Person geprägt wurde: Reinhold Messner hatte seit den späten 70er-Jahren die Deutungshoheit im Höhenbergsteigen, vor allem im deutschsprachigen Raum – in Amerika ist das anders. Dadurch hat sich die Meinung eines einzig richtigen Weges in mindestens zwei Generationen von Bergsteigern eingebrannt.
Wenn man sich die Entstehung des Alpinismus, auch des Höhenbergsteigens, ansieht, war das anders. Es war eigentlich nahe an dem, was wir jetzt machen. Natürlich bestieg man die hohen Berge mit Sauerstoff, bis auf die ersten Versuche im 7.000-Meter-Bereich. Die Höhenmedizin hat früh erkannt, wie gefährlich Hypoxie für den Körper ist. Nämlich nicht nur für das Gehirn, sondern auch für alle anderen Organe. Hier herrscht medizinischer Konsens: Ein Aufenthalt in großer Höhe schädigt den Körper nachhaltig und anhaltend bis zum Tod. Und zwar bei jedem, egal wie gut die Person bergsteigen kann, wie eindrucksvoll ihre alpine Vita ist und wie fit sie ist. Irgendwann stirbt dort oben jeder. Und wenn er nicht stirbt, dann trägt er zumindest bleibende Schäden davon. Das kann selbst bei einer „normalen“ Besteigung eines niedrigeren Achttausenders, wie etwa dem Cho Oyu, passieren.
Als Expeditionsveranstalter bezahlt mich mein Kunde für seine Sicherheit und Gesundheit und ich übernehme die Verantwortung für ihn. Ich habe ihm gegenüber also nicht nur eine moralische, sondern auch eine rechtliche Verpflichtung. Würde ich ihm vorgeben, er solle etwas extrem Gefährliches und Gesundheitsschädliches machen, dann weiß ich nicht, ob ich mich nicht selber in ein Haftungsproblem begebe. Ich denke, das könnte sogar strafrechtlich relevant sein. Für den Expeditionsveranstalter gibt es meines Erachtens nur den einen Weg mit Sauerstoff. Denkt man es zu Ende, wäre alles andere kompletter Wahnsinn.
„Für den Expeditionsveranstalter gibt es meines Erachtens
nur den einen Weg mit Sauerstoff.
Denkt man es zu Ende, wäre alles andere kompletter Wahnsinn.“
a:b
Okay, das mit dem Sauerstoff lassen wir einmal so stehen. Aber ein Teil des Bergsteigens ist auch das sich annähern, das Kennenlernen eines neuen Gebiets und sich vor Ort zu akklimatisieren. Viele kritisieren diese Verkürzung, den Verzicht auf Erlebnisse, dass der Berg quasi nebenbei abgehakt wird.
LF
Aus einer romantischen Vorstellung heraus kann man es so sehen: Bergsteigen muss ein Eintauchen in die Kultur des Landes, eine langsame Annäherung und eine Auseinandersetzung mit Land und Leuten sein – es braucht das Trekking zum Berg hin. Es spricht auch nichts dagegen. Jeder, der die Zeit dafür hat, sollte es unbedingt machen. Ich selber würde es auch so machen.
Nur ist es schwierig, die Grenze zwischen einer langsamen und einer schnellen Annäherung zu ziehen. Früher dauerte diese Annäherung sechs Monate, heute fliegt man nach Kathmandu und weiter nach Lukla und macht dann ein Trekking zum Berg. Ob die Verkürzung von acht auf drei Tage den großen Unterschied ausmacht, sei dahingestellt. Es macht aber definitiv einen großen Unterschied für all jene, die das Land, das Gebirge und die Menschen dort erleben möchten.
Außer Frage steht aber, dass die Akklimatisation zu Hause den Vorteil bringt, weniger lange weg von der Familie und von der Arbeit zu sein. Nur die wenigsten Menschen bekommen zehn Wochen Urlaub am Stück. Außerdem wird das Risiko minimiert, wenn man keine Rotationen am Berg macht. Geht man nur einmal durch den Khumbu-Eisbruch, hat man auch ein geringeres individuelles Sterberisiko, als wenn man fünfmal durchgeht. Zusätzlich steigen die Erfolgschancen, weil man ohne vorherige energieraubende Rotationen viel ausgeruhter den finalen Anstieg startet und auch das Risiko für Infekte, z. B. Magen-Darm-Geschichten, reduziert sich.

↑ Ein Hypoxiezelt für die traditionelle Vorakklimatisation zu Hause.
Foto: Furtenbach Adventures
Ich lasse also die Frage, ob es mehr oder weniger „echtes“ Bergsteigen ist, nicht zu. Sicher ist es ein ganz anderes Erlebnis. Ob es mehr oder weniger wert ist, muss jeder für sich entscheiden. Eine kurze Expedition ist zweifelsohne ein Kompromiss, der Abstriche beim Erlebniswert, Eintauchen in die Kultur etc. nach sich zieht.
Sehr oft sind zudem die ökologischen Auswirkungen Teil der Kritik. Wir sprechen von 450 bis 470 Bergsteigern, die jedes Jahr auf den Everest gehen. Dem gegenüber stehen 60.000 bis 80.000 Trekkingtouristen, die jährlich in das Tal wandern. Und ja, im Khumbu-Gebiet gibt es massive Probleme, im Besonderen mit der Wasserver- und -entsorgung, menschlichen Exkrementen u. s. w.
Aber diese verursachen nicht nur die 450 Everest-Bergsteiger, sondern vor allem die große Zahl an Trekkingtouristen, die einen ökologischen, aber auch einen sozioökonomischen Impakt hinterlassen, der nicht nur positiv ist. Die einzig positive Auswirkung ist das damit verbundene Einkommen der Lodgebesitzer. Alles andere ist ein negativer Impakt. Diskutiert man über Expeditionsbergsteigen, dann setzt man am falschen Punkt an, denn hier sind die ökologischen Nachteile für das Land komplett vernachlässigbar. Natürlich nehmen wir hier eine Vorreiterrolle ein und müssen zeigen, wie man es richtig macht. Für uns war von Anfang an klar, dass wir unseren ökologischen Fußabdruck gering halten, Müll trennen und das Abwasser richtig entsorgen. Für unsere Kunden ist die ökologische Verantwortung ein Nice to Have, aber natürlich nicht das Kaufkriterium. Allerdings sehr wohl für jene, die mit Sponsoren arbeiten. Hier ist es oft sogar Voraussetzung und muss entsprechend nachgewiesen werden – beispielsweise bei Filmproduktionen.
Messner sagt, echtes Bergsteigen ist es nur dann, wenn man dabei sterben kann. Das ist ein legitimer Zugang und es ist schön, dass Bergsteigen so viele Facetten haben kann. Aber unsere Kunden möchten nicht dabei sterben und auch gar nicht die Möglichkeit haben, dabei zu sterben. Obwohl sie schon wollen, dass es den Anschein hat gefährlich zu sein. Der ganzen Erzählung hilft es also durchaus, wenn es Todesfälle am Everest gibt.
„Unsere Kunden möchten nicht sterben.
Obwohl sie schon wollen, dass es den Anschein hat
gefährlich zu sein.“
a:b
Das ist jetzt dünnes Eis. Hast du nicht einfach Glück gehabt, dass du bisher noch keinen Toten gehabt hast und lehnst dich weit hinaus? Du könntest diese Aussage nach deiner nächsten Everest-Expedition bereuen …
LF
Absolut. Das ist es, was wir im Team am meisten diskutieren. Erstens bin ich extrem dankbar und demütig, dass wir noch keinen Unfall hatten. Zweitens betone ich bei jeder Gelegenheit, dass mir absolut klar ist, dass ich keine 100-prozentige Sicherheit garantieren kann – für niemanden. Ich weiß, dass auch wir jederzeit einen Unfall haben könnten. Es kann z. B. jemand von einem Stein am Kopf getroffen werden – das ist alpines Gelände, da gibt es Unfälle, für die niemand verantwortlich ist. Es kann auch jemand einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erleiden, weil dieses Risiko in der Höhe größer ist. Und obwohl wir die Blutwerte unserer Kunden überwachen und bei erhöhten Hämatokritwerten ganz leichte blutverdünnende Mittel verabreichen, müssen wir das in Kauf nehmen. Dennoch setzen wir uns jedes Jahr zusammen, um zu optimieren, was wir in der Hand haben. Sollte jemals ein Todesfall eintreten, dann soll uns zumindest niemand auch nur den Hauch eines schuldhaften Verhaltens in die Schuhe schieben können, weder uns als Anbieter, noch einem unserer Sherpas oder Bergführer.
a:b
Ich bereite mich daheim im Hypoxiezelt vor, werde vor Ort medizinisch überwacht, bekomme nach Bedarf eine Heparinspritze und habe Sauerstoff Ende nie, um mein Risiko zu minimieren. Alles verständlich und nachvollziehbar, aber das hat mit Bergsteigen nichts mehr zu tun. Ihr könntet mich dann doch auch gleich mit dem Hubschrauber zum Südsattel fliegen, wo fünf Leute warten, die mich auf den Gipfel bringen. Oder man baut einen Lift über den Khumbu-Eisbruch, fliegt alles mit Drohnen rauf und in fünf Jahren hänge ich mich selber dran. Um was geht es letztendlich?
LF
Wenn das am Everest einmal passiert, dann sind wir dort angekommen, wo wir heute in den Alpen sind. Natürlich wird es irgendwann einmal einen Lift auf den Everest geben. Wie hoch der gehen wird, traue ich mich jetzt noch nicht zu sagen. Genauso wie es bei uns in den Alpen auf jedem Berg, der von touristischem Interesse ist, eine Liftinfrastruktur gibt. Mehr noch: Bei uns gibt es dort auch einen Abenteuerpark, eine Panoramaplattform und ein Haubenrestaurant am Gipfel.
Natürlich werden wir am Everest sehen, dass Hubschrauber am Südsattel oder am Nordsattel auf der chinesischen Seite landen. Dass in den Westalpen Bergsteiger mit Helikopter fliegen, ist seit Jahren etabliert. Für mich neu war hier, dass die Besteigung des Mont Blanc inzwischen auch mit einem Heli-Shuttle von der italienischen Seite auf den Piton des Italiens als Halbtagestour erfolgreich verkauft wird. Alles, was wir in den Alpen schon seit Jahrzehnten als alpintouristischen Standard etabliert haben und bis zum Ende finanziell ausschlachten, wird irgendwann seinen Weg nach Nepal finden. Wer sind wir, dass wir diese Wertschöpfungskette am Berg installieren und davon profitieren, aber in Nepal hätten wir es gerne unberührt und ursprünglich?
a:b
Also ist es wünschenswert, dass immer mehr chinesische und nepalesische Anbieter die Sache selbst in die Hand nehmen und die Wertschöpfung vor Ort bleibt. Wie viele Arbeits- und damit Verdienstmöglichkeiten nimmst du als westlicher Anbieter den Locals weg?
LF
Grundsätzlich sind von ca. 200 Arbeitskräften, die für uns tätig sind, 190 Nepalesen. Ich würde auch sagen, dass der wesentliche Teil der Wertschöpfung in nepalesischer Hand bleibt. Die Story, dass die armen Sherpas jahrzehntelang von profitgierigen westlichen Anbietern ausgenutzt wurden und sich jetzt emanzipieren und den Berg wieder selber in die Hand nehmen, stimmt vielleicht zum Teil, ist aber kein Abbild der Realität. Es waren von Anfang an westliche Anbieter, die Umweltschutz in den Köpfen verankerten, die Bildung etablierten, die das Thema Sicherheit für die Arbeitskräfte am Berg ansprachen. Die soziale und ökologische Verantwortung ist leider tatsächlich vom Ausland in die Everest-Bergindustrie gekommen.
Das soll aber kein Vorwurf sein, es liegt an den Rahmenbedingungen. Nepal zählt zu den ärmsten Ländern der Welt und führt eine Liste mit dem geringstem durchschnittlichem IQ an. Die nepalesischen Arbeitskräfte haben nun bei den westlichen Anbietern gelernt und auch gut verdient. Irgendwann haben sie sich dann erfahren und ausgebildet genug gefühlt, um selbst Anbieter zu werden. Ihr erster Ansatz war natürlich, zu kopieren, was sie gelernt und gesehen haben. Nur eben billiger, was schon allein aufgrund der für sie wegfallenden Permitkosten – die einen wesentlichen Teil des Gesamtpreises ausmachen – möglich ist. Diese Unternehmen waren mehr oder weniger erfolgreich. Einige haben die Sicherheit ernst genommen, andere eher den Profit.
Wie bereits erwähnt, hat sich das über zwei Jahrzehnte entwickelt und sie haben dieselben Fehler gemacht, wie anfangs auch die westlichen Anbieter. Aber die Fehler hörten nicht auf. Immer wieder kam es zu denselben logistischen Problemen und falschen Entscheidungen, die Todesfälle nach sich zogen. Erst als die globale Berichterstattung immer deutlicher wurde und es klar war, dass es vor allem die Billiganbieter sind, die für 99 Prozent aller Todesfälle am Everest verantwortlich sind, waren sie gezwungen etwas zu ändern. Heute gibt es lokale Unternehmen, die westliche Expeditionsleiter und Bergführer anstellen, weil diese einen anderen Erfahrungsschatz und sicherlich auch einen anderen – kulturell bedingten – Sicherheitsanspruch mitbringen.
a:b
Was ist auf einem Achttausender die typische Todesursache?
LF
Bis auf wenige Ausnahmen, die auf gravitative Prozesse wie Stein- bzw. Eisschlag oder Absturz z. B. durch das Reißen eine Fixseils zurückzuführen sind, hat es in letzter Konsequenz immer etwas mit der Sauerstoffversorgung zu tun. Entweder der Sauerstoff geht aus, die Person hatte von Anfang an zu wenig Sauerstoff, das eigene Sauerstoffsystem versagt oder jenes des Sherpas, der dann den Kunden zurücklässt. Löst man also das Problem Sauerstoff, dann löst man das Problem der Todesfälle am Everest. Übrig bleiben „nur noch“ die Restrisiko-Todesfälle.
a:b
Wir sprechen viel über „Sauerstoff“. Wie hat sich dessen Verwendung entwickelt?
LF
Sauerstoffflasche, Regler und Maske sind technisch ausgereift. Auch hierfür hat es eine Genese gegeben, immerhin muss das Material Temperaturen bis minus 40 Grad Celsius bei gleichzeitig teilweise hoher Luftfeuchtigkeit und starkem Wind aushalten. Diese Probleme wurden aber gelöst und mittlerweile gibt es sehr gute, zuverlässige Systeme zu kaufen.
Jetzt muss man noch genug Sauerstoff zur Verfügung haben. Wie viel genug ist, ist aber schwierig zu berechnen, weil jeder unterschiedlich viel benötigt bzw. verbraucht. Abhängig ist das von der Fitness, der Erfahrung, der Temperatur und auch den persönlichen Präferenzen – manche möchten erst ab 7.000 Metern mit dem Sauerstoffatmen beginnen. Wir müssen also für jeden Kunden inklusive des gesamten Staffs den Sauerstoff für eine definierte Zeit kalkulieren. Kommt es zu einer Verzögerung – beispielsweise aufgrund eines Staus am Gipfelgrat und die Passage dauert anstatt acht Stunden 16 oder 20 Stunden – dann ist entscheidend, wie viel Reserve einkalkuliert wurde. Stellt sich heraus, dass zu wenig Gas kalkuliert wurde, dann ist die Frage, welche Entscheidung der verantwortliche Bergführer trifft: Lässt er seine Kunden zeitgerecht, vielleicht auch nur 100 Meter unter dem Gipfel, umdrehen? Beschließt er den Regler ein wenig herunterzudrehen, so etwas Gas zu sparen und dem Kunden später beim Abstieg die Flaschen der Sherpas zu geben – denn das Theater, so kurz vor dem Ziel umzudrehen, möchte er sich nicht antun? Genau das sind jene Situation, in denen eine Kette von Fehlentscheidungen gestartet wird, die mehr oder weniger immer einen tödlichen Ausgang hat. Das lässt sich vermeiden, wenn man ausreichend Gas und die notwendige Reserve einplant.
Was aber hohe Kosten bedeutet: Eine Flasche kostet aktuell „nur“ rund $ 700,–, die Füllung mit medizinischem Sauerstoff $ 4,–. Teuer ist der Transport der Flasche von der Füllanlage in Kathmandu-Valley ins Basislager, das Hinauftragen in die Hochlager, das Einrichten der Depots am Berg und dann auch wieder alles hinunter und zurückzubringen – so können die Kosten für eine Flasche auf $ 2.000,– anwachsen. Dazu braucht es Arbeitskräfte, die in dieser Umgebung auch selbst Sauerstoff benötigen. In Zukunft werden den Transport der Flaschen auch vermehrt Drohnen übernehmen. Seit heuer ist das bis in eine Höhe von 6.100 Metern möglich, doch die Leistung der Transportdrohnen verbessert sich laufend, sodass wir irgendwann bis zum Südsattel fliegen können.
Die gesamte Sauerstofflogistik wird jedenfalls umso kostenintensiver, je sicherer man sie haben möchte. Umgekehrt kann man dabei am meisten Geld einsparen. Man könnte sich also dazu verleiten lassen, insbesondere, wenn man sich die Everest-Erfolgsstatistik ansieht: Im Schnitt fallen 50 Prozent der Kunden vor oder während des Summit-Push aus. Dementsprechend könnte man auch nur für 50 Prozent der Kunden, Bergführer und Sherpas Sauerstoff kalkulieren und vorhalten. Sind dann aber aufgrund glücklicher Umstände doch nicht nur 50, sondern 70 Prozent am Gipfeltag dabei, dann hat man 20 Prozent zu wenig Sauerstoff. Die einzig richtige Entscheidung wäre dann, 20 Prozent der Kunden nicht auf den Gipfel gehen zu lassen. Das wird aber natürlich nicht gemacht, denn das würde ja bedeuten, dass man zugibt, wissentlich falsch kalkuliert zu haben, um den Gewinn zu maximieren. Eine Klage der Kunden wäre wohl die Folge. Was wird also gemacht? Man ist am Südsattel, es ist 20:00 Uhr und man kommuniziert die Aufbruchzeit in der Nacht wissend, dass man zu wenig Sauerstoff dabei hat. Die meisten entscheiden sich dann trotzdem für den weiteren Aufstieg. In der Hoffnung, dass in der Nacht noch jemand ausfällt, dass jemand schon am Balkon fertig ist und umdrehen möchte u. s. w. Es ist sehr verlockend, so zu denken. Aber es ist ein fataler Fehler.

a:b
Jetzt bin ich gut akklimatisiert, starte vom Südsattel zum Gipfel und auf einmal ist mein Sauerstoff aus. Was passiert jetzt mit mir, kann ich dann noch umdrehen und absteigen?
LF
Das ist sehr individuell. Der einen Person passiert nicht viel, für sie wird es nur plötzlich viel anstrengender. Ist sie körperlich und mental stark genug, kann sie vielleicht auch ohne Sauerstoff weiter absteigen. Ein anderer setzt sich einfach hin und macht keine Bewegung mehr. Dabei darf man nicht vergessen, dass – egal wo und wie man sich akklimatisiert hat und ob man mit Sauerstoff geht oder ohne – jeder Mensch auf einem Achttausender ein beginnendes Höhenödem entwickelt. Dauert der Gipfelanstieg jetzt z. B. zu lange, im Abstieg wird mein Hirnödem größer und größer und dann geht der Sauerstoff aus, dann kann ich handlungsunfähig werden.
Was auch viele nicht am Radar haben: Ob man einen Abstieg – vor allem aber den Aufstieg – ohne Flaschensauerstoff schafft oder nicht, ist grundlegend auch von der aktuell verfügbaren natürlichen Sauerstoffverfügbarkeit abhängig. Heute weiß man, dass diese eine große, bisher von niemandem berücksichtigte Variable darstellt. Die Sauerstoffverfügbarkeit wird von drei Parametern bestimmt: Luftdruck, Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Die Schwankungsbreite innerhalb eines Jahres liegt bei einem Äquivalent von bis zu 1.000 Höhenmetern. Am Everest Gipfel bewegt sich diese Schwankungsbreite jährlich zwischen 9.500 und 8.200 Metern, innerhalb einer Saison schwankt sie immer noch um 500 bis 600 Meter. Der Gipfel kann also an einem Tag entweder so „hoch“ sein, dass er ohne Sauerstoff für absolut niemanden machbar ist, oder so „niedrig“, dass sogar ich ihn ohne Sauerstoff schaffen würde. Eine Leistung, die körperlich zwar beachtlich, aber nicht so außergewöhnlich wäre und nur vom Wetter abhängt. Jetzt gibt es endlich eine vom National Geographic gesponserte Studie, die genau das mithilfe der Wetterstationen am Everest bestätigt. Wir hatten euer das erste Mal einen Live-Zugriff auf die Prognose der Sauerstoffverfügbarkeit der nächsten zehn Tage am Gipfel. Für Bergsteiger, die ohne Sauerstoff unterwegs sind, gibt es also bessere und schlechtere Tage. Für alle, die mit Sauerstoff unterwegs sind, spielt das keine Rolle.
Somit gibt es den wissenschaftlichen Beweis, dass erfolgreiche Besteigungen ohne Sauerstoff Zufall waren, weil der Berg zu diesen Zeiten eben nicht 8.848 Meter hoch war. Das hat Konsequenzen, denn damit sind die Besteigungen nicht mehr vergleichbar. Man müsste jeweils dazusagen, an welchem Tag man am Gipfel war.
„Der Everest Gipfel kann wetterabhängig so „hoch“ sein, dass er ohne Sauerstoff
für niemanden machbar ist – oder so ,niedrig‘, dass sogar ich es schaffen würde.“
a:b
Wie schaut diese Sauerstofflogistik bei euch konkret aus?
LF
Wir planen zuerst eine großzügige Menge an Sauerstoff für jeden einzelnen Kunden, Sherpa und Bergführer in der Annahme, dass alle den Gipfel erreichen werden. Dann geben wir noch einmal fast dieselbe Menge als Backup in den verschiedenen Lagern am Berg dazu. On top gibt es noch eine Notfallreserve an einem strategisch wichtigen Platz.
Seine eigene Reglermaske hat jeder selbst in Verwendung. Dazu hat bei uns jeder Teilnehmer und Bergführer einen persönlichen Climbing-Sherpa, der Ersatzregler und -maske für den Teilnehmer bzw. Bergführer und für sich selbst trägt.
Normalerweise haben wir am Ende der Saison die Hälfte unseres Sauerstoffs unangetastet am Berg liegen. Wie erwähnt, kostet das Geld, aber wir wissen auch, dass viele Teams nach uns am Berg sind, denen wir bei Bedarf Flaschen verkaufen können.
a:b
Bleiben diese Depots für die kommende Saison am Berg deponiert?
LF
Nein, niemand darf offiziell etwas oben lassen. Es wird zwar trotzdem gemacht, aber wir tragen alles wieder herunter. Alle Flaschen werden dann nach Kathmandu gebracht, wo jede einzelne Flasche serviciert werden muss.
Diese inzwischen von fast allen Anbietern verwendeten Flaschen haben übrigens ein Volumen von vier Litern bei 300 Bar Fülldruck, beinhalten also 1.200 Liter Sauerstoff. Gefüllt wiegen sie 3,85 kg, leer 2,2 kg. Und weil 300 Bar ein sehr hoher Druck und der Umgang mit Sauerstoff gefährlich ist, gibt es strenge Sicherheitsstandards.
a:b
Und wie kann ich mir den Regler und die Maske vorstellen?
LF
Der Regler ist ein Druckminderer, der den Flaschendruck von 300 Bar auf vier Bar hinunter regelt. Diese Regler sind heute sehr ausgereift, kommen aus dem militärischen Bereich von Jet-Piloten und sind auf die Verwendung im Freien bei sehr niedrigen Temperaturen optimiert. Der Sauerstoff strömt mit vier Bar Druck in ein Reservoir in der Atemmaske, in der er sich sammelt. Aus diesem Reservoir atmet man ein. Das ist notwendig, weil auf Achttausendern die zum Atmen benötigte Gasmenge höher ist als die Lieferleistung durch den dünnen Schlauch. Die Maske verfügt zudem über zwei Einlassventile: eines für den reinen Flaschensauerstoff, das andere für die Umgebungsluft. Damit atmet man ein Gemisch aus reinem Sauerstoff und Umgebungsluft ein. Im Gegensatz zu den „on demand“ Reglern aus dem Tauchsport handelt es sich bei uns um ein Constant Flow System: Sobald man den Regler öffnet, fließt der Sauerstoff. Dessen Flussrate kann individuell eingestellt werden, wobei das Maximum bei diesem System bei acht Litern reinem Sauerstoff pro Minute liegt.
a:b
Überwacht ihr die Sauerstoffsättigung eurer Kunden?
LF
Ja, dafür gibt es zwei verschiedene Protokolle. Das eine ist das Standardprotokoll für den normalen Teilnehmer. Dabei werden zweimal am Tag die Sättigung und die Herzfrequenz gemessen. Als Zusatzprodukt gibt es ein 24-Stunden-Monitoring, das über einen medizinischen, hochsensiblen Fingersensor im Handschuh funktioniert, der die Daten an einen Recorder sendet. Wenn gewünscht, überträgt dieser die Daten live ins Basecamp, wie wir es z. B. bei der 7-Tage-Everestexpedition gemacht haben. Das Gerätedisplay wird über dem Anzug am Arm getragen und ist deutlich ablesbar. Auch von unseren Sherpas, die geschult sind, abhängig vom angezeigten Sättigungswert die Flussrate des Sauerstoffes anzupassen.
a:b
Welche Flussraten stellt ihr ein?
LF
Das ist sehr individuell. Die meisten Leute fangen bei 6.500 Metern mit einem Liter Sauerstoff an und haben bis zum Südsattel, Camp 4 auf rund 8.000 Metern, zwei bis drei Liter Maximum. Ab Camp 3 wird dann auch mit einem halben Liter Sauerstoff geschlafen, um sich besser zu regenerieren, besser zu schlafen und mehr essen und trinken zu können, was bei einer siebentägigen Besteigung essenziell ist. Eine der Nebenwirkungen von Hypoxie ist ja z. B., dass man keinen Appetit mehr hat. Je weiter man nach oben kommt, desto weiter werden die Flussraten nach oben gedreht. Aber auch das ist sehr individuell und vom Fitnesslevel und der Sättigung eines jeden Einzelnen abhängig. Von unserer Seite gibt es keine Vorgaben, schon gar keine Limitierungen. Bei uns bekommt jeder so viel Sauerstoff, wie er braucht. Gemäß unserer Devise: Stelle ich jemandem Sauerstoff zur Verfügung, dann muss ich ihm genug zur Verfügung stellen. Es liegt an uns, den Sauerstoffverbrauch einzuschätzen und ein seriöses Produkt zu verkaufen.
Nächten auf 6.500 Metern ohne Sauerstoff. Dann steigen sie wieder ins Basecamp ab, um zu rasten, bevor der Summit Push folgt. Dieses Paket kostet aktuell € 75.000,– und das Verhältnis Bergführer zu Kunde beträgt 1:8 inklusive eines Sherpas pro Kunde. Damit ist das Produkt in der mittleren Preisklasse für westliche Expeditionsveranstalter angesiedelt. Dieses Paket wird aber kaum mehr gebucht.
Für den Gipfeltag – vom Südsattel bis zum Gipfel – geht die Durchflussrate für 80 Prozent der Leute auf vier Liter hinauf. Auch die Teilnehmer der 7-Tage Everest-Expedition waren am Gipfeltal mit vier Litern unterwegs. Bei sehr schwachen Kunden kann es vorkommen, dass man ihnen bis zu sechs Liter gibt. Am Hillary Step, wo sich immer ein leichter Stau bildet, drehen wir auch mal auf das Maximum von acht Litern hinauf, damit unsere Leute, wenn sie an der Reihe sind, zumindest schnell drüber kommen und nicht für weiteren Stau verantwortlich sind. Die Flussrate ist schließlich sofort in Leistung spürbar.
a:b
Wie lange dauert eine solche Everest-Expedition bei dir?
LF
Die klassische Expedition dauert sechs Wochen und inkludiert ein wenig Hypoxie in der Vorbereitung. Die Hauptakklimatisation erfolgt aber durch das klassische Trekking von Lukla ins Basecamp, wobei man noch davor einen Sechstausender besteigt und zwei Nächte im Hochlager schläft. Das ersetzt eine Rotation am Berg. Danach kommen die Leute ins Basecamp, machen zwischen Camp 2 und Camp 3 eine Rotation mit mehreren Nächten auf 6.500 Metern ohne Sauerstoff. Dann steigen sie wieder ins Basecamp ab, um zu rasten, bevor der Summit Push folgt. Dieses Paket kostet aktuell € 75.000,– und das Verhältnis Bergführer zu Kunde beträgt 1:8 inklusive eines Sherpas pro Kunde. Damit ist das Produkt in der mittleren Preisklasse für westliche Expeditionsveranstalter angesiedelt. Dieses Paket wird aber kaum mehr gebucht.
Für den Gipfeltag – vom Südsattel bis zum Gipfel – geht die Durchflussrate für 80 Prozent der Leute auf vier Liter hinauf. Auch die Teilnehmer der 7-Tage Everest-Expedition waren am Gipfeltal mit vier Litern unterwegs. Bei sehr schwachen Kunden kann es vorkommen, dass man ihnen bis zu sechs Liter gibt. Am Hillary Step, wo sich immer ein leichter Stau bildet, drehen wir auch mal auf das Maximum von acht Litern hinauf, damit unsere Leute, wenn sie an der Reihe sind, zumindest schnell drüber kommen und nicht für weiteren Stau verantwortlich sind. Die Flussrate ist schließlich sofort in Leistung spürbar.
Das nächste Produkt ist die Flash-Expedition, die am häufigsten gebucht wird – nämlich von rund 80 Prozent unserer Kunden. Diese dauert drei Wochen mit acht Wochen Hypoxie-Vorbereitung zu Hause. Von Kathmandu fliegt man mit dem Hubschrauber zum Mera-Peak auf 6.500 Metern, besteigt diesen inklusive dreier Hochlagernächte über 6.000 Meter. Das ist für uns die Kontrollrotation, um zu sehen, ob die Hypoxie-Vorbereitung für die Teilnehmer funktioniert hat. Wenn jemand Probleme hat, kann er hier noch nachjustieren, weil der Mera-Peak einen zusätzlichen Akklimatisationsreiz darstellt. Danach geht es mit dem Hubschrauber ins Basecamp, wo dann nur noch der finale Summit Push erfolgt. Dieses Paket kostet € 105.000,–. Das ist ein Rundum-Glücklich-Paket mit unlimitiert viel Sauerstoff, mit einem Bergführerverhältnis von 1:4 und jeder Kunde hat zwei Climbing Sherpas, wobei der zweite Sherpa vor allem für den Material- und Sauerstofftransport zuständig ist.
a:b
Wenn du hier erfolgreich bist, warum dann nochmals auf sieben Tage verkürzen?
LF
Über die Jahre habe ich den Bedarf von potenziellen, fitten und erfahrenen Kunden erkannt, die unbedingt da rauf wollen und gleichzeitig das Geld haben, für Qualität und Sicherheit am Everest zu bezahlen. Aber sie haben unmöglich sechs, geschweige denn zehn Wochen Zeit. Viele gaben mir das Feedback, dass drei Wochen die absolut maximale Zeit ist, in der sie von ihrer Arbeit weg können, was so etwas wie ein international etablierter Standard für durchgehenden Urlaub für Führungskräfte zu sein scheint. Mit unserem Drei-Wochen-Produkten haben wir damals also einen neuen Kundenkreis erschlossen.
Trotzdem hatten wir aber immer noch Kunden, die wissen wollten, ob es nicht auch noch schneller geht, etwa in zwei Wochen. Unser Ziel war also eine Expedition zu entwerfen, die nochmals deutlich kürzer als drei Wochen ist und zwischen einer und zwei Wochen dauert. Ein wenig Puffer für schlechtes Wetter, Fluglogistik etc. natürlich eingeplant, weil wir diese Variablen nicht beeinflussen können. Dass es aber schneller als drei Wochen geht, davon war ich überzeugt.
Damals sind wir mit unseren 21 Tagen provokant nach außen gegangen, wenn wir nun also etwas Neues bringen wollten, dann konnten es nur sieben Tage sein. Das ist ambitioniert, denn bei sieben Tagen darf nichts schief gehen, da muss alles wie am Schnürchen laufen. Wir wussten, wir lehnen uns weit aus dem Fenster, aber wir wollten eben auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.
An dieser extrem kurzen Expedition tüfteln wir schon seit 2017, es fehlten aber immer die richtigen Kunden, um diesen ersten Proof of Concept zu erbringen. Vor allem aber hat die Xenon-Komponente gefehlt. Als Michael Fries (Anm. d. Red.: Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin am Limburger St. Vincenz-Krankenhaus) Xenon ins Spiel brachte und ich es selber ausprobiert hatte, wusste ich, das ist das fehlende Glied in der Kette.
Nach fünf Jahren des Experimentierens war es dann reiner Zufall, dass sich der Brite Garth Miller, mit dem ich schon seit Jahren in Bezug auf schnelle Everest-Besteigungen in Kontakt bin, bei mir meldete. Ich fragte ihn kurzerhand, ob er Lust hätte, an einem Experiment teilzunehmen. Er war vom ersten Moment an begeistert. Er schlug auch gleich noch drei Kollegen vor, zwei davon waren noch nie über 6.000 Meter, der dritte war bereits auf dem Manaslu – Garth Miller selbst stand schon zweimal am Everest. Alle vier kommen aus Großbritannien, alle vier waren in Spezialeinheiten beim britischen Militär, wo sie eine sehr lange Ausbildung und viele Kampfeinsätze absolvierten. Einer ist in der Zwischenzeit der Minister for Defence and Veteran Affairs. Alle vier sind zwischen Ende 40 und Anfang 50, top trainiert und vor allem auch bergsteigerisch fit. Aus der ganzen Sache machten sie zudem eine Charity-Aktion für Waisenkinder von britischen Veteranen.
Schon in der Planungsphase kam uns aber viel Kritik entgegen – von wegen Doping, kein echtes Bergsteigen mehr, … die klassischen Argumente eben. Niemand schien auf die positiven Effekte zu schauen, die eklatant sind: Sieht man sich die Hauptprobleme am Everest an, die auch medial als solche transportiert werden, dann sind das die Toten und Unerfahrenen, die am Berg sterben, sowie der ganze Müll. Das Hauptproblem am Everest sind hier die menschlichen Exkremente. Diese werden aus dem Basecamp zwar abtransportiert, aber in einer Entfernung von sieben bis zehn Kilometern im Nationalpark neben der Moräne des Gletschers in ein Loch gekippt. Das versickert dort, kommt aber irgendwann wieder in die Entwässerung des Tales. Ökologisch ein Wahnsinn.
Die 7-Tage-Expedition löst im konkreten Fall praktisch beide Probleme, weil es eben keine unerfahrenen Bergsteiger sind und weil zweitens die Expeditionsdauer so kurz ist, dass Ressourcenverbrauch und damit auch Müll dramatisch reduziert werden.
„Wenn wir etwas Neues bringen wollen, dann kann es nur
der Everest in sieben Tagen sein.“
a:b
Ihr seid damit sehr früh an die Presse gegangen.
LF
Ja, die Öffentlichkeit zu involvieren, war eine bewusste Entscheidung. Die Financial Times machte 2018 schon eine Story zu den Flash-Expeditionen und sagte auch diesmal zu, allerdings zu zwei Bedingungen: Sie wollten die Story exklusiv und vor allem schon vorher und danach noch einmal. Das war riskant, aber wir wussten, wenn die das machen, dann bekommen wir eine globale Berichterstattung. In der Financial Times Story waren allerdings ein paar Unschärfen enthalten – beispielsweise wurde geschrieben, dass das Xenon in Nepal verabreicht wird. Das stimmt nicht, sie fragten aber auch nicht nach und wir bekamen den Artikel nicht vorab zur Freigabe. Sofort stürzten sich also manche Leute auf diese unrichtigen Details. Die nepalesische Regierung klinkte sich ein und sagte, das sei in Nepal verboten, die UIAA Medical Commission hatte es auch nicht für nötig erachtet bei uns nachzufragen, sondern schoss gleich mit der Warnung hinaus, dass es höchst gefährlich sei, ein Narkosegas am Berg zu verwenden.
Übrigens: Diese Kommission hat seit ihrem Bestehen noch nie davor gewarnt, einen Achtausender ohne Sauerstoff zu besteigen – obwohl das seit vielen Jahrzehnten die häufigste Todesursache ist. An Xenon ist noch niemand verstorben, die UIAA hat aber nur drei Tage für eine internationale Warnung gebraucht …
Und natürlich kam auch die Kritik, dass Xenon Doping sei, weil es auf der WADA-Liste der verbotenen Substanzen steht. Vieles konnten wir so nicht stehen lassen und die Abarbeitung der Kritik war ein langer Prozess, der von Jänner bis Mai dauerte.
a:b
Wie sah die Expeditions-Vorbereitung konkret aus?
LF
Die Briten haben schon davor ein passives und aktives Hypoxie-Protokoll gemacht und sind – als sich das Wetterfenster abzeichnete – eine Woche vorher nach Deutschland für die Xenon-Applikation geflogen. Dabei wird das Xenon über ein aktives medizinisches Beatmungsgerät appliziert, wie das auch bei anderen Narkosegasen der Fall ist. Das Gas besteht aus einer Mischung aus Sauerstoff und Xenon. Xenon ist seit 75 Jahren ein zugelassenes Narkosegas, seit ebenso langer Zeit wird mit Xenon medizinisch geforscht, seit vielen Jahrzehnten gilt es als die schonendste und sicherste Narkose und als eines der sichersten medizinischen Gase überhaupt. Es sind keine Folgeschäden bekannt. Tatsächlich hat Xenon auch viele positive Wirkungen auf den Körper, die ebenfalls ausreichend medizinisch erforscht sind, allerdings haben sie nicht den Zusatz „für das Bergsteigen“ – wie das im Übrigen bei jedem höhenmedizinischen Medikament genauso wenig der Fall ist. Einer der positiven Effekte von Xenon ist, dass es die Ausschüttung von körpereigenem EPO anregt, was zu einer Erhöhung der roten Blutkörperchen führt. Der gleiche Prozess passiert auch beim Höhenaufenthalt. Dieser Prozess kann aber auch durch andere Stoffe ausgelöst werden, der bekannteste ist das synthetische EPO, das man als Doping-Mittel kennt und das eben auch sehr gefährliche Nebenwirkungen bis hin zum Tod hat. Es darf aber nicht mit dem körpereigenem EPO verwechselt werden. Xenon wirkt im Körper außerdem zell-, neuro- und cardioprotektiv. Abgesehen davon senkt es den arteriellen Lungendruck. Warum das alles so ist, ist tatsächlich noch wenig erforscht. All diese Auswirkungen sind jedenfalls vor allem in der Höhe extrem gut, weil sie den Körper vor den gravierendsten Ausprägungen der Höhenkrankheit schützen – im Besonderen vor dem Höhenhirn- und dem Höhenlungenödem. Xenon hat also nicht nur das Potenzial die Akklimatisation zu verbessern, zu beschleunigen, sondern auch den Körper in der Exposition vor Höhenkrankheit zu schützen.
„Xenon hat nicht nur das Potenzial die Akklimatisation
zu verbessern, zu beschleunigen, sondern auch den Körper
in der Exposition vor Höhenkrankheit zu schützen.“
a:b
Was passiert nach dieser Xenon-Behandlung?
LF
Bereits nach 24 Stunden fühlt sich die Atmung anders an, leichtgängiger und so, als hätte man ein größeres Lungenvolumen. Anstrengung wird weniger intensiv erlebt, wobei es sich dabei um eine sehr feine Nuance handelt. Dieser Effekt bleibt für ca. einen Monat konstant aufrecht. Die Höhenverträglichkeit steigert sich, baut sich über ein bis zwei Wochen langsam auf. Wenn man dann eine Höhenexposition hat, fühlt sich die Höhe viel besser an als ohne Xenon. Man fühlt keine oder nur minimale Symptome von Höhe wie Kopfweh, Schlafstörungen, Übelkeit oder reduzierter Appetit, die selbst mit guter Akklimatisation vor Ort oder mit Hypoxie-Vorbereitung immer noch vorhanden sind. Mit Xenon schläft man besser, man isst besser, man hat kein Kopfweh und eine höhere Sauerstoffsättigung, die wiederum direkt zum Wohlbefinden beiträgt.
a:b
Wäre die 7-Tage-Expedion ohne Xenon möglich gewesen und wäre Xenon dann nicht auch für andere Expeditionen empfehlenswert?
LF
Ich glaube schon, dass die 7-Tage-Expedition auch ohne Xenon möglich gewesen wäre, aber vielleicht nicht für jeden und vor allem mit reduzierter Sicherheitsreserve. Xenon ist in diesem Fall jedenfalls die Sicherheitsreserve und die Garantie, oben nicht ständig mit einer 8-LiterFlussrate gehen zu müssen. Und ja, es wäre absolut für jeden empfehlenswert, Xenon vor Höhenexpeditionen zu applizieren – selbst wenn man nur ein Basecamp-Trekking macht oder auf den Kilimandscharo geht. Ich habe es selbst fünfmal gemacht und ich würde mich, wenn ich nicht unbedingt muss, nie wieder einer Höhenexposition ohne Xenon aussetzen.
„Ich würde mich nie wieder einer Höhenexposition ohne Xenon aussetzen.“

↑ Xenon-Applikation mit einer speziellen Atemmaske.
Foto: Furtenbach Adventures
a:b
Und wie würde sich Xenon ohne Hypoxie-Vorbereitung in der Höhe auswirken?
LF
Auch das haben wir mehrmals probiert – ich selbst war einmal am Everest und einmal am Lhotse mit nur Xenon und null Hypoxie. Also nur sieben bis acht Tage vor der Exposition Xenon, dann innerhalb von drei oder vier Tagen auf 6.500 Metern zum Schlafen. Die gesamte Expedition dauerte zwölf Tage. Für mich hat das sehr gut funktioniert, aber das hat wenig Aussagekraft. In den letzten fünf Jahren haben dasselbe noch zwei andere Personen gemacht, bei denen es auch gut funktioniert hat. Wir glauben, der Effekt von Xenon ist ausreichend, um eine andere Art der Akklimatisation zu ersetzen. Aber wir verkaufen kein unfertiges Produkt an einen Kunden. Bis jetzt ist das schließlich nicht durch eine Studie bestätigt.
a:b
Habe ich das richtig verstanden? Xenon könnte die Hypoxie-Vorbereitung und die Akklimatisation vor Ort ersetzen?
LF
Es geht in diese Richtung, ja.
a:b
Was kostet eine Xenon-Applikation?
LF
Wir verkaufen diese Everest-Expedition unter zwei Wochen als Rundumpaket. Hier sind die Hypoxie-Vorbereitung unter medizinischer Begleitung und Xenon inkludiert. Der Preis beläuft sich auf € 150.000,–. Die Bergführerbetreuung ist 1:3.
a:b
Und für dieses Paket siehst du einen Markt?
LF
Ja, dafür sind wir für das nächste Jahr ausgebucht, obwohl wir das Produkt noch gar nicht auf der Website haben.
Wir wollen die Xenon-Behandlung in Zukunft aber auch jedem anbieten, nicht nur bei unseren anderen Expeditionen, sondern auch den Kunden unserer Mitbewerber. Eine solche Behandlung wird voraussichtlich € 15.000,kosten. Das klingt viel, aber man muss berücksichtigen, dass allein das Gas schon ein Drittel bis zur Hälfte der Kosten ausmacht. Es ist also keine Cashcow, der Preis deckt unsere Overhead-Kosten.
Momentan kann diese Xenon-Behandlung nur in Deutschland durchgeführt werden. Wir planen, dass es auch in anderen Ländern möglich sein wird, weil es aus logistischen Gründen für den Kunden Sinn machen würde. Am meisten natürlich in Kathmandu. Dazu haben wir kürzlich eine Partnerschaft mit einer Klinik aufgesetzt, wo das Personal entsprechend ausgebildet wird. Aktuell sind wir in der rechtlichen Abklärung mit der chinesischen Regierung. In Deutschland ist die rechtliche Situation geklärt, dort dürfen wir es machen. Als dritter Standort ist Amerika angedacht.
a:b
Aber es ist Doping?
LF
Darüber kann man diskutieren. Es steht zwar auf der WADA-Liste, ist aber gemäß den WADA-Dopingkriterien kein Doping. Dazu müssten nämlich folgende drei Punkte erfüllt sein: Erstens muss es gesundheitsschädlich sein, zweitens muss es einen leistungssteigernden Effekt haben und drittens muss es dem Sportsgeist widersprechen und unfair sein.
Punkt eins ist bei Xenon ausgeschlossen. Punkt zwei ist medizinisch nicht nachgewiesen, sehr wohl aber der präventive positive Effekt. Am ehesten könnte man also noch bei Punkt drei ansetzen, aber um als Doping eingestuft zu werden, müssen eben alle drei Punkte erfüllt sein.
a:b
Dieser Punkt würde für Sauerstoff auch gelten.
LF
Ganz genau. Lässt man dieses eine Kriterium der Unfairheit zu, dann muss man auch wieder fragen: Wem gegenüber? Schließlich sind wir nicht in einem reglementierten Wettkampfsport aktiv, sondern es handelt sich um freies Bergsteigen. Hier gibt es kein Regulativ und vor allem gibt es keine WADA, die hier zuständig wäre. Würde man nun aber sagen, Xenon ist Doping, dann müsste man so konsequent sein zu sagen, dass natürlich auch Sauerstoff und viele andere Mittel, die beim Bergsteigen verwendet werden, ebenfalls Doping sind. Der nächste Schritt wäre dann, wie gehen wir als Gesellschaft damit um? Wer stört sich daran? Wer hat einen Nachteil? Schließlich ist es immer noch kein Wettkampf und Leute nehmen selbstverständlich Medikamente gegen die Symptome der Höhenkrankheit, sie nehmen Sauerstoff, um nicht zu sterben oder ihr Gehirn dauerhaft zu schädigen.
a:b
Was ist neben Sauerstoff „Stand der Technik“ an Medikamenten?
LF
Klassisch gibt es den „Oelz-Cocktail“. Dieser beinhaltet, was ursprünglich von Oswald Oelz als Behandlung gedacht war: Diamox für beginnende Höhenkrankheit, Nifedipin zur Lungendrucksenkung und beginnendem Lungenödem und Dexamethason, ein Cortisolpräparat, das beim Hirnödem zur Drucksenkung eingesetzt wird und auch ein Notfallmedikament ist.
Dieser Cocktail hat sich seit den 80er-Jahren etabliert und amerikanische Guides und ihre Kunden haben dann auch ausprobiert, ob dieser auch prophylaktisch wirkt. Diamox ist damit schnell zum Standard auch bei Trekkingtouren geworden. Rund 50 Prozent aller Leute nehmen dieses Medikament. Nifedipin hat sich prophylaktisch nicht wirklich bewährt, es war kein deutlicher Benefit zu sehen. Dexamethason hingegen hat sich vorbeugend durchaus etabliert, wobei man nicht genau weiß, welcher Effekt es war, der sich bewährt hat. Cortisol bewirkt eine gewisse Leistungssteigerung und steht deswegen auf der WADA-Liste der verbotenen Substanzen. In gewissem Maße ist es auch psychoaktiv, wirkt sich positiv auf die Stimmung aus und wurde deswegen von amerikanischen Guides auch gerne am Gipfeltag eingesetzt, damit die Kunden selbst daran glauben, dass sie es schaffen. Andere haben sich das abgeschaut und der prophylaktische Einsatz von Dexamethason am Gipfeltag hat sich immer mehr verbreitet. Sogar so weit, dass Dr. Urs Hefti, Präsident der UIAA Medical Commission, Dexamethason als Prophylaxe beim Höhenbergsteigen empfiehlt und kommerzielle Anbieter dazu anhält, das Medikament am Gipfeltag den Kunden zu verabreichen.
Hier klaffen unsere Welten deutlich auseinander. Wir – und damit meine ich auch unsere Expeditionsärzte, die sehr viel Erfahrung haben – würden niemals auf die Idee kommen, dieses Medikament prophylaktisch zu nehmen bzw. zu geben oder es zu tolerieren, dass es irgendjemand in unserem Expeditionsteam prophylaktisch einsetzt. Der Grund: Es ist ein Notfallmedikament und bei prophylaktischer Einnahme hilft es im Notfall nicht mehr.
„Hier klaffen unsere Welten deutlich auseinander.
Wir würden niemals auf die Idee kommen, Dexamethason prophylaktisch zu verabreichen.“
a:b
Wenn Dexamethason auf der Dopingliste steht, warum fehlt dann hier die Diskussion?
LF
Das ist eine gute Frage und ich blicke selbst nicht ganz durch. Es gab auch Urinuntersuchungen auf der CosmicHütte, wo man tatsächlich die gesamte Range an Dopingmitteln bei Bergsteigern und Bergführern gefunden hat – und das mitten in den Alpen. Aber darüber ist nie eine große Diskussion entstanden. Warum jetzt bei Xenon plötzlich der große Aufschrei kommt, ist mir wirklich ein Rätsel. Ich glaube, man kann es an dieser unüberlegten Schnellschussstellungnahme der UIAA Medical Commission festmachen, die inhaltlich falsch ist, die nicht fundiert ist, die nachweislich falsch argumentiert und die trotzdem nicht zurückgezogen oder korrigiert wird. Das ist eigentlich ein Skandal und wir überlegen, rechtlich dagegen vorzugehen.
a:b
Zurück zu den vier Britten. Wir sind bei der Xenon-Applikation eine Woche vor der Expedition stehen geblieben. Wie ist es dann weiter gegangen?
LF
Ich war zu diesem Zeitpunkt schon vor Ort. Im Fokus stand die Wetterbeobachtung und der Druck war enorm. Wir wussten, wenn wir hier jetzt Fehler machen und die Expedition nicht gelingt, dann stehe vor allem ich als Vollidiot dar. Davor, dass jemand sterben würde, hatten wir weniger Angst. Wir haben das Sicherheitsnetz so engmaschig gestrickt, dass keiner sterben konnte – außer natürlich es fällt ihm ein Stein auf den Kopf. Für das definierte Wetterfenster hatten wir dann eine sehr gute Prognose – vor allem eine gute, abgesicherte Windprognose, denn eigentlich ist für uns nur der Wind relevant, alles andere interessiert uns nicht. Die Route war in gutem Zustand und die meisten Leute hatten den Berg schon verlassen.
Die Briten konnten also aufbrechen, tatsächlich nur einen Tag später als ursprünglich geplant. Sie flogen nach Nepal, stiegen in den Hubschrauber um, der bis zum Basecamp Sichtflugwetter hatte. Im Camp wurden sie mit einem Mittagessen versorgt und komplett medizinisch durchgecheckt – schließlich zogen wir alles als kleine Ministudie auf. Ihre Ausrüstung war schon vor Ort und nach einem kurzen Briefing startete die Expedition kurz vor 24:00 Uhr mit einem nepalesischen Bergführer und sechs Sherpas. Schlafsäcke und weitere Ausrüstung war bereits in Camp 2 gebracht worden. Sie durchquerten den Eisbruch, erreichten um ca. 9:00 Uhr Camp 1, rasteten und sind dann weiter bis Camp 2 auf 6.450 Meter aufgestiegen, welches sie um 11:00 Uhr erreichten. Dort rasteten sie den ganzen restlichen Tag und die Nacht, brachen am nächsten Tag um 7:00 Uhr zu Camp 3 auf und erreichten Camp 4 am Folgetag. Dann allerdings änderte sich der Wetterbericht: Für den Gipfeltag war der Wind über dem Limit von rund 50 km/h vorausgesagt. Wir überlegten also, ob wir einen Tag nach hinten verschieben sollten, denn diesen Puffer hätten wir gehabt. Schließlich entschieden wir gemeinsam, es dennoch mit der Option zu wagen, bei zu viel Wind abzubrechen und in Lager 4 zurückzukehren, um es am nächsten Tag noch einmal zu versuchen.
Es hat funktioniert, es war windig, aber innerhalb des Limits. Um 6:00 Uhr in der Früh waren alle vier Briten und vier Sherpas am Gipfel, wo sie aufgrund des Winds nur 15 Minuten blieben. Danach folgte der Abstieg in Lager 4 und weiter bis ins Camp 2. Dort haben sie gegessen und ein paar Stunden geschlafen und sind um 2:00 Uhr wieder aufgebrochen, um durch den Eisbruch bis ins Basecamp zu gelangen, das sie um 7:00 Uhr erreichten. Nach einem Frühstück und einer Dusche wurden sie um 8:15 Uhr vom Helikopter abgeholt und nach Kathmandu geflogen, sind dort in die Pizzeria gegangen und haben den ganzen Nachmittag mit Bier und Pizza verbracht, ehe sie um 18:00 Uhr in den Flieger nach London stiegen, das sie nach sechs Tagen und 13 Stunden wieder erreichten.
a:b
Das klingt super, aber wie man lesen konnte, hat das heuer jemand anderer noch schneller geschafft.
LF
Ja, es gibt jemand anderen, der behauptet, dass er schneller war. Aber es gibt nach wie vor keinen Beweis dafür. Der Mann gibt an, vom Aufbruch in New York knapp unter vier Tagen bis auf den Gipfel gebraucht zu haben. Unsere Gruppe war nach vier Tagen und sechs Stunden am Gipfel – allerdings mit einem Livetrack, den die ganze Welt verfolgen konnte. Bei ihm gab es weder das, noch ein Gipfelfoto mit Timestamp, noch einen Einreisestempel und selbst, nachdem mehrere Journalisten bis hin zur New York Times diese Beweise von ihm verlangt haben, um es als Rekord anerkennen zu können, gibt er nichts heraus. Wir glauben, weil nichts existiert und die ganze Geschichte eine Erfindung ist.
a:b
Eure Expedition war jedenfalls ein Erfolg.
LF
Ja. Uns wird natürlich vorgeworfen, dass es ein PR-Stunt war – und ja, das war es auch und er hat funktioniert. Wir waren global in der Presse. Als kleines unbedeutendes österreichisches Unternehmen bekamen wir einen ganzseitigen Artikel im Wall Street Journal, in der New York Times, zweimal eine ganze Seite in der Washington Post, wir waren live auf CNN – einfach überall.
„Der Druck war enorm. Wir wussten, wenn wir hier jetzt Fehler machen und
die Expedition nicht gelingt, dann stehe vor allem ich als Vollidiot dar.“
a:b
Du hast die Szene ziemlich aufgemischt, obwohl du selber kein Bergführer bis. All diese Innovationen müssen doch eigentlich von Bergführern kommen, denn die sind die Experten, auch in der Höhe.
LF
Es hilft mir, kein IVBV-Bergführer (Anm. d. Red.: IVBV/ UIAGM/IFMGA = Internationaler Verband der Bergführerverbände) zu sein. So bin ich offener für Lernprozesse und Innovation, weil ich eben nicht glaube, dass ich schon alles weiß. Im Gegensatz zu vielen Experten, die – weil sie ja Experten sind und als solche angesehen werden – dem Irrtum unterliegen alles zu wissen. Bergführern wird dieser Expertenstatus bereits in der Ausbildung vermittelt, was an sich schon problematisch ist. Denn normalerweise wird man nach einer Grundausbildung erst durch weitere Qualifikationen und vor allem Erfahrung irgendwann zum Experten – oder auch nicht. Bei Standardabläufen kann es durchaus sein, dass eine grundlegende Ausbildung gut funktioniert, aber beim Expeditionsbergsteigen hat es lange keine Fortschritte gegeben, weil – vermeintliche – Experten eine innovationsfeindliche Umgebung geschaffen haben. Hier gibt es noch extrem viel Raum, Dinge anders zu denken. Wäre ich ein Bergführer, würde ich vielleicht gar nicht darüber nachdenken, ob das, was wir hier machen, eigentlich richtig ist. So denke ich aber jedes Mal – oder eigentlich das ganze Jahr über – nach, ob das wirklich das Beste ist. Machen wir es richtig, nur weil es immer schon so gemacht wurde, oder könnten wir es ganz anders und damit vielleicht viel besser machen? Erst durch ständiges sich selbst in Frage stellen kann Innovation stattfinden.
„Erst durch ständiges sich selbst in Frage stellen,
kann Innovation stattfinden.“
a:b
Was sind die Auswahlkriterien für die Bergführer, die du engagierst?
LF
Die Bergführer sind für das sichere Ablaufen solcher Expeditionen extrem wichtig. Umso wichtiger ist es, dass man die richtigen Leute hat. Nicht jeder Bergführer kann durch seine Ausbildung automatisch auch eine solche Expedition führen. Ich würde sogar sagen, dass die Bergführerausbildung keine fünf Prozent jener Skills vermittelt, die man braucht, um eine solche Expedition führen zu können. Man muss englisch sprechen können, man muss organisieren können, den Überblick behalten können, man muss sehr gut mit Menschen umgehen können, man muss Logistik verstehen, man muss nicht nur seiltechnisch gut sein, sondern sich auch mit Elektronik, mit Kommunikationsmitteln auskennen. Man muss schnell und klug im Denken sein, man muss Probleme vorhersehen können und rechtzeitig proaktiv Lösungen entwickeln – noch bevor jemand anderem das Problem überhaupt bewusst wurde. Man muss viel Erfahrung haben. Man muss sich mit Sauerstofflogistik und -technik auskennen, man muss sich höhenmedizinisch sehr gut auskennen, man muss ein Psychologe und ein Psychiater sein. Man muss gute Coaching-Qualitäten aufweisen, man muss ein gutes Kundenverständnis und ein Bewusstsein dafür haben, dass man eine Dienstleistung für einen Kunden erbringt, der für seine Sicherheit und für ein gutes Erlebnis bezahlt.
a:b
Wo hast du diesen einen Bergführer, der all das kann, gefunden?
LF
Das kann ich nicht an einer Person festmachen, aber es gibt Bergführer, die haben dieses breite Skillset und es gibt welche, die haben es nicht. Für uns ist nicht wichtig, ob ein Bergführer möglichst schwierig oder gefährlich klettert, sondern dass er möglichst sicher unterwegs und dabei ein guter Coach für den Kunden ist. Ich denke, das Team an Bergführern, das wir aktuell haben, ist die Crème de la Crème beim Höhenbergsteigen – und zwar global. Unser Team ist international: Wir haben Guides aus Nord- und Südamerika, aus Neuseeland, aus Europa und aus Nepal – dass diese Mitglied beim IVBV sind, ist dabei übrigens nicht das Hauptkriterium.
a:b
Findest du diese Bergführer oder finden sie dich?
LF
Beides ist möglich. Einen unserer jetzigen Bergführer habe ich bei einer Arktis-Expedition eines anderen Veranstalters beobachtet und gesehen, wie er mit den Kunden umgeht, auf Sicherheit achtet und dabei stets freundlich ist. Das war vor vier Jahren, heuer hat er das erste Mal für uns am Everest geführt. Umgekehrt gibt es auch Bergführer, die sich bei uns bewerben. Bereits beim Erstgespräch erkennt man, ob das klappen kann oder nicht.

„Ich würde sogar sagen, dass die Bergführerausbildung keine fünf Prozent
jener Skills vermittelt, die man braucht, um eine solche
Expedition führen zu können.“
a:b
Nach allem, worüber wir jetzt gesprochen haben, bleibt, es ist finanziell eine exklusive Geschichte. Kritik?
LF
Ich könnte ein billiges Everest-Produkt anbieten. Das hätte dann aber Abstriche bei der Sicherheit. Billig und sicher gibt es am Everest nicht. Für uns, mit einem Firmensitz in Europa und einer europäischen Judikatur, ist es unmöglich, Abstriche bei der Sicherheit bewusst in Kauf zu nehmen.
a:b
Du bietest den Everest auch von der Nordseite an, wo weit weniger Leute unterwegs sind. Warum kommen nicht mehr Leute von der Nordseite, wo es offenbar viel ruhiger zugeht und das individuellere Bergsteigen noch mehr im Vordergrund steht?
LF
Das ist einfach zu erklären: Die chinesische Regierung reglementiert den Zugang sowohl für die Expeditionsveranstalter als auch für die Teilnehmer sehr streng. Einerseits mit einer Maximalanzahl an ausgegebenen Permits, aber noch viel wichtiger: Um dort überhaupt eine Expedition anbieten zu können, muss man als Veranstalter durch ein Monitoringprogramm gehen, um zu zeigen, dass man sicher arbeitet. Hat man eine Zulassung und dann einen Unfall, der auf ein Fehlverhalten zurückzuführen ist, fliegt man raus und kommt nie, nie wieder zurück. Aus diesem Grund gibt es aktuell auch nur drei ausländische Veranstalter auf der chinesischen Seite. Außerdem sagt die chinesische Regierung, dass die Veranstalter auch für die Qualität der Teilnehmer verantwortlich sind, dass sie körperlich gesund, leistungsfähig, erfahren und überhaupt geeignet sind. Wenn hier wer schummelt, dann fällt auch das wieder auf den Veranstalter zurück. All das führt dazu, dass auf der Nordseite eben nur 50 Personen gehen.
a:b
Welche Seite würdest du mir empfehlen?
LF
Die technische Anforderung auf der Nordseite ist etwas höher, weil über lange Strecken mit Steigeisen auf Felsen und Kombi-Gelände geklettert wird. Wenn sich jemand in einem solchen Gelände wohl fühlt, dann würde ich demjenigen immer die Nordseite empfehlen. Aber die Nordseite hat auch den Nachteil, dass es keine Planungssicherheit gibt, weil China den Zugang aus diversen Gründen einschränken kann, was in der Vergangenheit auch regelmäßig passiert ist. Das ist auch der Grund, warum wir beide Seiten anbieten – auf die Südseite können wir immer hin und es gibt auch Kunden, die aus persönlichen Präferenzen lieber auf die Südseite wollen.
a:b
Die Männerdomäne ist ein wenig gefallen – zumindest wenn man sich die sozialen Medien ansieht. Es gibt immer mehr Frauen, die zum Teil super leistungsfähig und zum Teil ohne Sauerstoff unterwegs sind. Gleichzeitig stehen aber auch sexuelle Belästigungen im Raum. Wie geht es Frau am Everest?
LF
Ich glaube, die Zahl der Bergsteigerinnen am Everest liegt immer noch recht konstant bei 10 Prozent. Ich denke, Frauen sind durch soziale Medien sichtbarer geworden. Sherpanis – also weibliche Sherpas – gibt es so gut wie keine; die Zahl ist im einstelligen Prozentbereich angesiedelt. Bei den Everest-Bergführern sind mir zwei Frauen bekannt, die aber beide nicht mehr aktiv sind.
Das Umfeld ist ein gutes Abbild unserer Gesellschaft. In der Sache mit der sexuellen Belästigung gegen einen lokalen Anbieter wird noch immer ermittelt. Ansonsten gibt es Studien, die nahelegen, dass Frauen in der Höhe leistungsfähiger, resilienter als Männer sind und damit eigentlich auch erfolgreicher beim Höhenbergsteigen sein müssten. Ich glaube, dass Frauen aber immer noch mit Vorurteilen und auch Diskriminierung selbst am Everest zu kämpfen haben. Ist eine Frau in der Gruppe, dann wird sie entweder sehr hofiert, weil sie ja die schwache Frau ist, der man alles extra nachtragen muss, und andererseits gibt es auch die Vorbehalte, dass „Mann“ nicht mit der Frau in einer Gruppe sein möchte, weil sie ja die Schwache ist. Ein Beispiel aus dem letzten Jahr zeigt das Gegenteil. Wir hatten bei einer Flash-Expedition einen sehr fitten Mann aus dem militärischen Bereich und eine sehr zierliche Zahnärztin, die beide geplant hatten, die Kombi Everest und Lhotse zu machen. Der superfitte Soldat der Spezialeinheit war nach dem Everest mit seinen Kräften am Ende und verzichtete auf den Lhotse, während die 45-kg-Frau am nächsten Tag ganz locker auf den Lhotse stieg – mit körperlich ganz anderen Voraussetzungen, aber mit mehr Widerstandsfähigkeit und großer mentaler Stärke.
a:b
Wir haben über die Hubschrauber gesprochen, man kennt die Bilder von den Zelten im Basecamp. Es gibt Gerüchte, ihr hättet einmal eine Sauna sowie eine Siebträgerkaffeemaschine gehabt und die Köchin kommt aus Argentinien. Wer braucht diesen Luxus, der natürlich auch einen Impakt darstellt?
LF
Das würde ich in zwei Bereiche teilen. Einerseits in die Transportsituation, die sich durch die Hubschrauber dramatisch verändert hat. Die rund 450 Everest-Bergsteiger fliegen tatsächlich zum Großteil zumindest eine Strecke – meistens nach der Expedition raus. Das Hauptproblem stellen aber wiederum die 60.000 bis 80.000 Trekkingtouristen dar, von denen inzwischen auch Dreiviertel nach dem Trekking ins Basecamp mit dem Hubschrauber wieder zurück nach Kathmandu fliegen. Das hat nicht nur hunderte Flüge pro Tag zur Folge, sondern es bringt für die vielen Lodges auch einen wirtschaftlichen Nachteil, da diese praktisch die Hälfte ihres Umsatzes verlieren.
Immer wieder kommt auch der Vorwurf des dekadenten Luxus im Basecamp. Ja, stimmt, wir hatten einmal eine Saunakabine, die wir mit einer Brennstoffzelle sehr umweltfreundlich betrieben haben. Als dann aber ein Mitbewerber eine Sauna mit Holzofen aufstellte, wurde das generell verboten. Was wir aber immer noch haben ist eine Kaffeemaschine, die 70 Kilogramm wiegt und als Einzellast für einen Yak zu schwer ist, also ließen wir sie mit dem Hubschrauber hineinfliegen. Die Kaffeemaschine kann man als dekadenten, unnötigen Luxus bezeichnen, genauso wie das Zelt, das so groß ist, dass man darin stehen kann oder die Bettgestelle, den Fernseher etc. Lässt man aber das Emotionale beiseite und sieht sich an, wie bei uns in den Alpen Bergsteigen stattfindet, dann haben die meisten Leute, die heute auf das Matterhorn oder den Großglockner gehen, deutlich mehr Komfort und Infrastruktur zur Verfügung als bei uns jeder Everest-Kunde, der über € 100.000,– für seine Expedition zahlt. Das Wort „Luxus“ im Basecamp ist der falsche Begriff. Es ist immer noch ein Campingplatz. Die gesamte Infrastruktur wird zudem nur temporär für einen Zeitraum von acht Wochen aufgebaut und danach wieder komplett abgebaut. Geht man am 1. Juni durch das Basecamp, sieht man dort kein einziges Papierfusel. In den Alpen gibt es hingegen in jedem Tal und auch am Berg permanente Infrastrukturen, wo man von echtem Luxus reden kann. Ich kann daher diese Aufregung über das ein wenig komfortabler gestaltete Camping am Everest für acht Wochen nicht verstehen. Von Luxus sind wir weit, weit entfernt – das wäre gar nicht möglich und auch gar nicht erlaubt, weil es sich ja um Nationalparkgebiet handelt.
„Das Wort ‚Luxus‘ im Basecamp ist der falsche Begriff.
Es ist immer noch ein Campingplatz.“
a:b
Bei uns in den Alpen könnte man aber nicht an einem verunglückten Bergsteiger vorbei gehen. Wie reagieren deine Kunden, wenn sie mit toten Körpern konfrontiert werden?
LF
Dass man bei uns in den Alpen nicht an einem Toten vorbei geht, hat vor allem mit dem viel leichteren Abtransport zu tun. Am Everest begibt sich derjenige, der den Transport eines Toten durchführt, auch selbst immer in Lebensgefahr und es muss abgewogen werden, ob es das wert ist. An einem Toten vorbeizugehen ist nie schön und jeder Kunde und jeder Bergführer muss darauf entsprechend vorbereitet werden. Aber es erinnert uns daran, dass die Besteigung gefährlich ist und eine Fehlentscheidung schnell tödlich ausgeht.
a:b
Oft hört man, über 8.000 Metern kann man niemandem helfen. Können deine Climbing Sherpas oder der Bergführer deinem Kunden überhaupt helfen, wenn dieser kurz vor dem Gipfel ein Problem hat?
LF
Ja, aber nur deswegen, weil sie auch Sauerstoff verwenden. Aus diesem Grund ist es auch ein absolutes No-Go, dass ein Bergführer auf einem Achttausender keinen Sauerstoff verwendet – das ist ausgeschlossen, weil er sonst seinen Job nicht machen kann.
a:b
Darf der Climbing Sherpa, der den Reservesauerstoff, Maske und Regler trägt, diese auch für jemand anderen verwenden, der in Not gerät, nicht aber zur eigenen Gruppe gehört?
LF
Ja, natürlich. Einen solchen Fall besprechen wir ganz genau im Briefing. Wir sagen unseren Kunden, dass, wenn wir am Gipfeltag oder auch darunter in eine Situation kommen, in der ein anderer Mensch durch das Aufwenden unserer Ressourcen gerettet werden könnte, wir das tun. Ohne zu zögern – auch wenn das bedeutet, dass der Kunde nicht auf den Gipfel kommt. Bisher musste noch niemand deswegen auf den Gipfel verzichten, aber dass wir unsere Ressourcen, meistens Sauerstoff, aber auch Sherpas, Kocher, Zelte oder Essen anderen zur Verfügung stellen, weil sie das gerade nicht haben, aber brauchen, kommt häufig vor – passiert auf jeder Expedition, auf jedem Berg, jedes Jahr.
Dass hier offenbar ein Backup durch große Expeditionsanbieter vorhanden ist, denken sich tatsächlich vor allem jene, die öffentlich breittreten, dass sie im Alpinstil ohne Support unterwegs sind. Im Notfall greifen eben diese dann aber natürlich auf alle vorhandenen Ressourcen zurück – sie liegen ohne zu fragen in unserem Zelt, verwenden unser Gas, essen unser Essen, benutzen unseren Schlafsack – einfach alles. Das ist Standard. Auch die Fixseile verwenden sie ohne wie alle anderen ihren Beitrag, $ 400,– pro Person, dafür zu zahlen. Mit einer Selbstverständlichkeit und Unverschämtheit wird auf die Ressourcen von kommerziellen Anbietern zurückgegriffen, ohne wenigstens danach „Danke“ zu sagen.
a:b
Gibt es am Everest überhaupt noch Leute, die den Berg im Alpinstil machen?
LF
Ja, es gibt viele, die ankündigen, den Everest unsupported – konkret ohne Sherpas – zu machen, obwohl man das per Gesetzt gar nicht mehr darf. In China sowieso nicht, aber auch in Nepal seit diesem Jahr nicht mehr. Wenn das z. B. bekannte, gesponserte Athleten dennoch tun, dann ist das illegal und muss für ihre Veranstalter rechtliche Konsequenzen haben. Außerdem wird nach mehrmaligem Nachfragen dann manchmal doch zugegeben, dass Sherpas tw. die Ausrüstung getragen und das Zelt aufgestellt haben, dass Fixseile verwendet wurden u. s. w. – was dann dem Alpinstil nicht mehr entspricht. Hier braucht es mehr Transparenz.
a:b
Nun gibt es am Everest ja nicht nur die klassischen Aufstiege von der Süd- und Nordseite, sondern auch zig andere Routen, in denen man sich als Bergsteiger durchaus beweisen könnte. Wie stark werden diese alternativen Anstiege beansprucht?
LF
Bisher sind 16 Routen am Everest eröffnet und die gesamte riesige Ostseite weist sogar noch einen in seiner Gesamtheit unbegangenen Grat auf. Hier ist enorm viel Potenzial für Erstbegehungen, für sehr exponierte Projekte ohne Chance auf Rettung oder Hilfeleistung, wo man komplett auf sich gestellt ist. Das wurde auch schon gemacht – z. B. das Kangshung Face an der Ostseite. Wäre ich Profibergsteiger und hätte diesen Anspruch an mich, dann wäre das die Seite, wo ich hingehen würde. Aber da ist niemand unterwegs – schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Obwohl der Zugang möglich wäre. Auf den anderen hohen Bergen ist es ähnlich, obwohl auch diese das Potenzial für neue Routen im Alpinstil hätten. An der Ama Dablam (6.812 m) gab es letzte Herbstsaison ein Neuroutenprojekt, das allerdings buchstäblich 20 Meter neben der Fixseilroute verlief. Hier den Anspruch zu erheben, alpinistisch etwas Wertvolles zu leisten, ist auch ein wenig dünn. Ich will das aber gar nicht kritisieren, jeder kann machen, was er möchte. Aber umgekehrt zu sagen, wir Kommerziellen nehmen ihnen die Spielwiese weg und sie können nichts mehr machen, weil wir alles okkupieren, stimmt einfach nicht. Auf manchen Bergen okkupieren wie eine Route, die aber für diese Leute komplett uninteressant sein sollte.
a:b
Wie ernst nimmst du die Kritik von diesen oft älteren, aber auch jungen Bergsteigern, die durchaus emotionale und vor allem für Nicht-Bergsteiger nachvollziehbare Argumente vorbringen?
LF
Ich reagiere vor allem nicht emotional darauf, weil ich der Ansicht bin, dass jeder seine Facette von Bergsteigen selber definieren kann. Der Raum ist groß genug und muss auch in der Community genug Toleranz bieten. Sobald ich aber als professioneller Berufsbergsteiger eine Vorbildwirkung und damit eine öffentliche Verantwortung und Einfluss auf eine nachfolgende Generation habe, muss ich mir schon sehr genau überlegen, was ich öffentlich von mir gebe.
Mich triggern solche Menschen aber nicht mehr. Wenn die einzige Legitimation von Alpinismus ist, dass das eine besser ist als das andere, dann hat mir das zu wenig Substanz.
a:b
Wir sehen dich beim Alpinforum im November. Wenn wir uns aber in ein oder zwei Jahren wieder zu einem Gespräch treffen, über was werden wird dann sprechen?
LF
Dann werden wir darüber reden, dass sich Xenon – wenn auch nicht in der breiten Masse – etabliert hat und es viele Bergsteiger verwenden. Durch den Klimawandel, der selbstverständlich auch vor dem Himalaya nicht Halt macht, wird es aufgrund der Gletscherschmelze und Steinschlag zu Adaptierungen in den Routen kommen müssen, im Besonderen vermutlich im Zustieg zum Berg. Ansonsten ist der Zeithorizont aber zu kurz, als dass gravierende Veränderungen zu erwarten wären.
„Der Raum ist groß genug und muss auch in der Community genug Toleranz bieten.“

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- Dieser Beitrag ist im ÖKAS Fachmagazin analyse:berg Sommer 2025 (Betrachtungszeitraum: 01.11.2023 bis 31.10.2024) erschienen.
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