
Am 31. August 2025 werden ein Mann und seine Frau direkt vor der Austriahütte am Dachstein von Kühen angegriffen. Der Mann kommt dabei zu Tode, die Frau wird schwer verletzt. Gemäß ÖKAS-Unfalldatenbank einer von fünf tödlichen Unfällen in den österreichischen Bergen zwischen 2005 und 2025. Nehmen Kuhattacken zu? Werden die Tiere immer aggressiver? Liegt es am Verhalten der Wanderer? Braucht es mehr Aufklärung oder sollten die Tiere generell eingezäunt werden? Fragen, denen sich anlässlich des tragischen Unfalls am Dachstein der Alpenverein Austria nun konkret annimmt. Das Symposium „Sicher auf Bergen und Almen – mit und ohne Hund“ am 21. November 2025 war dazu erst der Auftakt.
Christina Schwann
Redakteurin analyse:berg, Ökologin
Fritz Macher, 1. Vorsitzender des Alpenverein Austria, kannte den im Sommer in unmittelbarer Nähe zur Austriahütte tödlich verunglückten Mann und seine Frau gut. Es handelte sich um altgediente Funktionäre des Alpenvereins Austria, um Ehrenvorstandsmitglieder und im Falle der Frau sogar um ein Mitglied des Bundesausschusses. Beide waren erfahrene Bergsteiger und Hundehalter, beide wussten, wie man sich gegenüber Weidevieh respektvoll verhält. Dennoch kam es zu diesem dramatischen Unfall, bei dem der Mann verstarb und die Frau schwere Verletzungen erlitt.
Dieser Unfall zeigt, dass Pauschalurteile sowohl gegenüber dem Verhalten der Wanderer wie auch gegenüber den Almbauern fehl am Platz sind. Er zeigt aber auch, dass vorhandene Verhaltensregeln offenbar nicht weit genug gehen oder zu wenig gut kommuniziert werden.
Aus diesem Grund wurde zum Symposium in Ramsau am Dachstein breit gefächert eingeladen: Anwesend waren neben dem Sohn des verunglückten Ehepaars und Vertretern des Alpenvereins und der Gemeinde Ramsau auch der Präsident des VAVÖ (Verein Alpiner Vereine Österreichs), Vertreter der Almbauern und des Agrarmarketings, ein Rindertrainer und Landwirt sowie der Amtstierarzt der BH Lienz – eine Stellungnahme wurde zusätzlich vom Amtstierarzt des Landes Tirol eingebracht. Für das ÖKAS war Präsident Peter Paal anwesend und Peter Kapelari, Berater, Mediator sowie Sachverständiger für alpine Infrastruktur, der auf umfangreiche Erfahrungen zum Thema u. a. durch eine tödliche Kuhattacke im Tiroler Stubaital zurückgreifen kann, hielt einen Impulsvortrag.
Symposium „Sicher auf Bergen und Almen – mit und ohne Hund“
Foto: Imre Antal
Die Zahlen der ÖKAS-Unfalldatenbank
Peter Kapelari geht davon aus, dass die Unfälle nicht nur gefühlt, sondern auch statistisch nachweisbar zunehmen. Als Hintergrund dient ihm dazu die ÖKAS-Unfalldatenbank. Eine bereits im Jahr 2023 durchgeführte Auswertung des Österreichischen Zentrums für Bär, Wolf, Luchs ergab folgendes Ergebnis: Zwischen 2005 und 2023 gab es insgesamt 86 Kuhangriffe auf 112 Personen. Dabei wurden 93 Personen verletzt, 3 starben in Folge der Angriffe und 17 blieben unverletzt. Hinzu kommen ein tödlicher Unfall im Gasteinertal im Jahr 2024 und jener am Dachstein im Sommer 2025. Bei allen tödlichen Unfällen war zumindest ein Hund dabei. Liest man die Unfallberichte der Alpinpolizei, relativeren sich die Unfälle mit verletzten Personen deutlich. Viele verletzten sich quasi „sekundär“, etwa auf der Flucht durch Stolpern oder Absturz. In einigen Fällen führte provokantes Verhalten der Wanderer gegenüber dem Weidevieh zu Unfällen. Auch Arbeitsunfälle durch Almbauern sind in der Datenbank erfasst. D. h. sehr oft konnten die Kühe nichts für den Unfall und zeigten keinerlei aggressives Verhalten. Bei anderen Vorfällen wiederum kam es aber tatsächlich zu äußerst gefährlichen Situationen mit und ohne Hund.
–> Mehr dazu werden Sie in der Sommerausgabe des analyse:berg 2026 lesen können.
Der Fall Pinnistal
Bis zum sogenannten „Kuhurteil“ im Jahr 2014 gab es in Bezug auf Kuhattacken bisher keine strafrechtlichen Verurteilungen und auch zivilrechtlich wurden die Klagen fast immer abgewiesen. Ganz anders, so Peter Kapelari, kam es allerdings im Fall Pinnistal: Nach einem tödlichen Unfall wurde der Tierhalter in erster Instanz alleinschuldig gesprochen. Erst in zweiter und dritter Instanz wurde das Urteil abgemindert und auch der Verunfallten eine 50%ige Teilschuld zugesprochen.
Auch wenn die Versicherung des Landwirtes die anerkannte Schadenshöhe von EUR 125.000,- zahlte, war doch die Verunsicherung der Almbauern groß. Erstmals wurde gemäß Kapelari ein Runder Tisch mit allen relevanten Institutionen (Kammern, Tourismus, Alpenverein) sowie der Landes- und der Bundesregierung einberufen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Und diese Gespräche waren durchaus fruchtbar, denn draus resultierten die auch heute noch gängigen 10 Verhaltensregeln über das richtige Verhalten auf Almen. Regeln, Folder und Videos sind für jedermann kostenlos zugänglich. Außerdem wurden die Almbauern durch eine Änderung im ABGB (§1320) insofern entlastet, als dass die Viehhaltung auf den Almen eine traditionelle Besonderheit darstellt und daher Besucher eine Eigenverantwortung haben.
10 Verhaltensregeln über das richtige Verhalten auf Almen
Quelle: sichere-almen.at
Obwohl diese Regeln nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben, gehen sie für Kapelari möglicherweise nicht weit genug, denn die Zahl der Vorfälle auf Almen nimmt nicht ab, sondern zu.
Mögliche Ursachen für zunehmende Vorfälle auf Almen
Peter Kapelari stellt einige mögliche Ursachen für das zum Teil sehr aggressive Verhalten des Weideviehs in den Raum, die im Folgenden von den anwesenden Experten untermauert werden:
- Veränderungen in der Weidetierhaltung
Die Umstellung auf Mutterkuhhaltung und die Umstellung von Anbindehaltung auf Laufställe könnte dazu beitragen, dass die Kühe „entdomestiziert“ werden, d. h. weniger Kontakt mit Menschen haben und daher deutlich instinktgesteuerter sind. Und Kapelari ist sich sicher, die (Mutter-)Kuh werde dabei im Vergleich zum Stier deutlich unterschätzt.
- Veränderung in der Hundehaltung
Kapelari vermutet, dass nicht nur viel mehr Wanderer unterwegs sind, sondern damit auch viel mehr Hunde. Gleichzeitig nehme die Zahl der Hunde auf Bauernhöfen ab. Dazu habe sich das „Mindset“ der Hundehalter grundlegend verändert: Wurde der Hund früher oft als Helfer für diverse Aufgaben gehalten, sei er heute vor allem ein Familienmitglied und es müsse die Frage gestellt werden, ob Haltern und Hunden möglicherweise manchmal das richtige Training fehle.
- Veränderungen in der Gesellschaft
Gleichzeitig gebe es grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft. Der „Aktivitätszwang“ in der Freizeit nehme zu, gleichzeitig hätten Vernunft, Rücksichtnahme und Naturwissen abgenommen.
- Stress des Weideviehs durch andere Faktoren
Zusätzlich spricht Kapelari mögliche Stressfaktoren für das Weidevieh durch den Klimawandel oder das häufigerer Auftreten von großen Beutegreifern an.
In Summe sei es, so Kapelari, kein Wunder, dass die Gräben zwischen Almbauern und Freizeitnutzern immer größer werden und nicht selten strickte Maßnahmen wie etwa ein generelles Hundeverbot oder das komplette Einzäunen des Weideviehs gefordert werden.
Statements der anwesenden Experten
Interessante sind die Statements der Amtstierärzte, die die von Kapelari angesprochene „Entdomestizierung“ durch die Veränderungen in der Rinderhaltung ebenfalls beobachten. Gleichzeitig nehmen sie die Landwirte in die Verantwortung, denn diese müssten ihre Tiere so gut kennen, dass sie „Problemtiere“ erst gar nicht auf die Alm schicken.
Von keiner Seite wird in Abrede gestellt, dass die Almen eine alte Kulturlandschaft darstellen, die Biodiversität hoch halten und ein elementares Argument für den Tourismus sind. Die Landwirte wünschen sich zu Recht, dass ihr Arbeitsplatz „Alm“ entsprechend gewürdigt und als solcher dem ungehemmten Freizeitsport höherrangig gestellt wird. Alle sind sich zudem einig, dass auch der Tourismus, der zum Symposium eingeladen war, aber nicht teilnahm, in die Pflicht genommen werden müsse, um nicht Bilder von einer Almidylle zu verkaufen, die es nicht gibt. Alle sind sich einig, dass die technischen Möglichkeiten der Kommunikation viel besser ausgeschöpft werden müssen – von intelligenten Wegtafeln mit integriertem Chip bis hin zu digitalen Informationen über Muttertier-Weiden, die bereits bei der Tourenplanung berücksichtigt werden können.
Und selbst die 10 bestehenden Verhaltensregeln könnten teilweise einer Überarbeitung bedürfen – etwa was den Abstand zum Weidevieh betreffe. Dieser sei gemäß dem anwesenden Rindertrainer und Landwirt immer das Hauptproblem.
Die Statements wurden von einem breit aufgestellten Expertenkreis eingebracht. (Namen und Funktion sehen Sie, wenn sie mit dem Curser am Bild verweilen.)
Fotos: Imre Antal
Zusammenfassung
Immer wieder kommt es in Österreichs Alpen zu Unfällen mit Weidevieh. Im Verhältnis zur Anzahl der Freizeitsportler sind die Zahlen der Verletzten und Toten gering, aber unbestritten ist es ein emotionales Thema, weil verschiedene Interessen am Naturraum kaum wo so offensichtlich aufeinander treffen wie hier. Auf der einen Seite Wanderer und Sportler, die die Almen als Sehnsuchtsort, als Ausgleich für den Alltag und/oder als Sportgerät stark beanspruchen. Auf der anderen Seite die Almbauern, die seit Jahrhunderten ihr Vieh auf die Sommerweiden treiben und damit eine artenreiche Kulturlandschaft geschaffen haben und weiterhin erhalten, die das Landschaftsbild der Alpen maßgeblich prägt und mit dem der Tourismus wirb.
Weidevieh – im Besonderen Muttertiere – scheinen sich durch die laufende Störung durch Freizeitsportler gestört bzw. bedrängt zu fühlen. Vermutlich im Besonderen dann, wenn Ausweichmöglichkeiten fehlen, der Abstand zu gering wird, Hunde mitgeführt werden oder die Störung nicht mehr einschätzbar ist, weil sich Freizeitnutzer nicht nur auf den markierten Wanderwegen bewegen. Fehlendes Wissen der Freizeitnuzter, wenig bis gar nicht trainierte Hunde, das Ignorieren von Infotafeln und tatsächlich auch Respektlosigkeit gegenüber dem Grundbesitzer/Almbauern sowie der Kuh selbst (zu nahe kommen, Störung der „Privatsphäre“ der Kuh, angreifen, Fotos machen… ) kann in Folge zu gefährlichen Situationen führen.
Fazit
Das Symposium erreichte genau das, was es sollte: Die Vertreter der verschiedenen Institutionen kamen zusammen und wurden gehört. Nicht Schuldzuweisungen, sondern das Arbeiten an gemeinsamen Lösungen stand im Vordergrund. Die Diskussion ist damit eröffnet und wird sich in weiteren Schritten fortsetzen. Ziel ist es, gemeinsam konkrete Maßnahmen zu erarbeiten und eine bestmögliche Kommunikation über alle erdenklichen Kanäle in die Wege zu leiten.
Das ÖKAS wird als unabhängige Plattform eine Moderationsrolle einnehmen und für die notwendige Kommunikation nach außen sorgen.
Der bereits angekündigte Beitrag im analyse:berg Sommer 2026 wird Sie über konkrete weitere Schritte informieren.
Links & Publikationen:
- Dieser Beitrag ist im ÖKAS Fachmagazin analyse:berg Sommer 2025 (Betrachtungszeitraum: 01.11.2023 bis 31.10.2024) erschienen.
- Chefredakteur: Peter Plattner (peter.plattner@alpinesicherheit.at)
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- Alpin-Fibelreihe des Kuratoriums
- Alpinmesse / Alpinforum 2025
- Kontakt ÖKAS:
Susanna Mitterer, Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit, Olympiastr. 39, 6020 Innsbruck, susanna.mitterer@alpinesicherheit.at, Tel. +43 512 365451-13















