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Wie werden Lawinenprognosen
tatsächlich verstanden und genutzt?

Diese Frage versuchte Pascal Haegeli Anfang April 2024 im Rahmen eines Schneeseminars zu klären, das von der Österreichischen Gesellschaft für Schnee und Lawinen (ÖGSL), einem ÖKAS-Partner, veranstaltet wurde. Pascal kennen viele von Ihnen von seinen Studien zur Wirksamkeit von Lawinen-Airbags und Insider beneiden ihn für seine Professur an der Simon Fraser University in Vancouver (British ­ Columbia), wo er das einzige Lawinenforschungsprogramm in Kanada leitet. Als Schnittstelle zwischen Natur- und Sozialwissenschaften beschäftigen er und sein Team sich auch mit der Frage nach der Wirksamkeit bzw. dem Nutzen von verschiedenen Informationsformaten der Lawinenprognosen. Dazu hat er in den letzten Jahren zusammen mit Lawinenwarndiensten in Nordamerika und Europa v. a. mittels Online-Befragungen Daten gesammelt, die er zur Zeit auswertet. Darüber wollten wir mehr erfahren.

Im Gespräch:
Pascal Haegeli
Lawinenforscher und -sicherheitsexperte

Interview:
Peter Plattner

Pascal-Haegeli-analyse-berg-Winter-2023-2024-argonaut-pro

↑ Pascal Haegeli nach dem Gespräch mit analyse:berg
Foto: argonaut.pro

a:b
Im Betrachtungszeitraum dieser analyse:berg-Ausgabe hatten wir – wie fast jede Saison – wieder eine typische Lawinenzeit: Wenige Tage lang war die Situation im freien Gelände für Skitourengeher und Freeriderinnen ungewöhnlich angespannt. Die Lawinenwarndienste sind ihrem Namen gerecht geworden und haben gewarnt. Letztendlich hat es in Österreich aber an nur zwei Tagen 20 relevante Lawinenunfälle mit sechs toten Wintersportlern gegeben. Glaubst du, haben in dieser Zeit alle Skifahrer und Snowboarderinnen die Lawinenprognose richtig verstanden und im Gelände umgesetzt?

PH
Wahrscheinlich nicht, aber das kann ich aus der Ferne nur schwer beurteilen. Meiner Erfahrung nach leisten die Lawinenwarndienste in der Regel eine hervorragende Arbeit, wenn es darum geht auf gefährliche Situationen hinzuweisen und ihre Informationen sind allgemein dazu da, von den Wintersportlern genutzt zu werden. Aber es ist auch möglich, dass einige dieser Personen alles „richtig“ gemacht haben und einfach nur Pech hatten und zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

a:b
Worum geht es bei eurer Untersuchung zum Verständnis der Lawinenprognose?

PH
Das Hauptaugenmerk unserer Arbeit in diesem Bereich
liegt darauf, besser zu verstehen, wie die verschiedenen Inhalte der Lawinenvorhersage genutzt, verstanden und angewendet werden – und von wem. Wir wollen im Detail wissen, wie zugänglich diese Informationen für die verschiedenen Arten von Wintersportlern sind und was sie damit machen. Unser Ziel ist es, den Warndiensten Erkenntnisse zu liefern, um die Kommunikation ihrer Produkte effektiver zu gestalten.

a:b
Und was habt ihr dazu bisher gemacht?

PH
In den letzten Wintern haben wir verschiedene Studien – vor allem Online-Umfragen – durchgeführt, um die Anwender zu ihren Gewohnheiten bei der Nutzung von Prognosen zu befragen und ihr Verständnis der Informationen mit verschiedenen Übungen zu untersuchen.

a:b
Welche Aspekte habt ihr dafür betrachtet?

PH
Wir haben so ziemlich alle Kernkomponenten der Lawinenvorhersage abgedeckt. In der ersten Studie haben wir die Wahrnehmung der Lawinengefahrenskala unter die Lupe genommen. Zuletzt haben wir untersucht, wie die Nutzer die Höhen- bzw. Expositionsangaben verstehen und anwenden. Ebenso wie sie die Gefahrenstufe und die Lawinenprobleme mit der Hangneigung kombinieren, um die Gefahr im Einzelhang zu beurteilen. Darüber hinaus haben wir analysiert, wie verständlich und nützlich die detaillierte Gefahrenbeschreibung als Ganzes sowie einzelne Begriffe und Aussagen in ihr sind.

a:b
Nun hängt auch viel von der Anwenderin ab. Welche
Zielgruppen habt ihr euch angesehen?

PH
Ja, natürlich! Unser Ziel ist es, die Sichtweisen von mög
lichst vielen verschiedenen Nutzergruppen kennenzulernen. Wir glauben, dass es ein breites Spektrum von Lawinenvorhersagenutzern mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten gibt und es wichtig ist zu wissen, was für wen am besten funktioniert.
Tatsächlich sind die Teilnehmer unserer Umfragen in der Regel erfahrener als der Durchschnittsnutzer, kennen sich besser mit Lawinen aus, haben eine formale Lawinennotfallausbildung und nutzen die Lawinenvorhersage häufiger. Diese Personen lassen sich leichter für Online-Umfragen rekrutieren und sind eher bereit, an dieser Art von Studien teilzunehmen und ihre Einschätzungen zu teilen. Das ist eine unglückliche, aber bekannte Einschränkung von solchen Online-Umfragen, die wir bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigen müssen. Wir müssen uns definitiv noch stärker bemühen, die Perspektive anderer Nutzer zu erfahren.

„2/3 nehmen die Gefahrenskala als linear wahr:
Der Anstieg der Gefahr ist auf allen Stufen gleich
und 3 liegt genau in der Mitte zwischen 1 und 5.“

a:b
An oberster Stelle der Informationspyramide steht die Gefahrenstufe, die klar definiert ist. Wie wird diese verstanden und interpretiert?

PH
Als zentrales Instrument zur Kommunikation der La
winengefahr war die Gefahrenskala für uns natürlich von großem Interesse. Es ist zwar bekannt, dass diese Skala fünf Stufen hat, aber weniger bekannt ist, dass die Gefahr nicht linear, sondern eher exponentiell zunimmt. Das ist so, weil drei verschiedene Faktoren gleichzeitig zunehmen: die Instabilität der Schneedecke, die Anzahl der potenziellen Auslösestellen im Gelände und die Größe der potenziellen Lawinen.
In unserer Studie in Nordamerika haben wir herausgefunden, dass etwa zwei Drittel der Teilnehmer die Gefahrenskala als linear wahrnehmen – d. h., der Anstieg der Gefahr ist zwischen allen Stufen gleich und „3–erheblich“ liegt genau in der Mitte zwischen „1–gering“ und „5–sehr groß“. Viele sind auch der Meinung, dass die Gefahrenskala auf den hohen Stufen flacher wird – d. h. die Gefahrenzunahme wird mit zunehmender Gefahrenstufe geringer. Nur sechs Prozent unserer Stichprobe wussten, dass die Lawinengefahrenskala mit zunehmender Stufe immer steiler ansteigt. Dabei war interessant, dass eine Ausbildung in Sachen Lawinensicherheit mit diesen Antworten nicht korrelierte.
In derselben Studie fragten wir die Teilnehmer auch, wie sich die Gefahrenstufe auf ihre Tourenplanung auswirkt. Zwei Drittel gaben an, dass sie bei „4–groß“ und „5–sehr groß“ nicht ins Gelände gehen, was bedeutet, dass sie diese beiden Stufen gleich behandeln. Das wirft die Frage auf, ob wir wirklich „groß“ und „sehr groß“ benötigen, oder ob dieser Unterschied nicht besser in einem anderen Teil der Vorhersage kommuniziert werden könnte. Mir ist klar, dass die Gefahreneinstufung in Europa mehr als nur der Information von Wintersportbegeisterten dient, aber ich denke, die Frage ist dennoch berechtigt.
Ein Drittel der Teilnehmer gab übrigens an, ihr Tourenziel bei „1–gering“ und „2–mäßig“ hauptsächlich aufgrund der Gefahrenstufe auszusuchen und die anderen Informationen der Lawinenvorhersage kaum zu berücksichtigen.

a:b
Wenn die Gefahrenstufen also größtenteils in Go oder
Stopp zusammengefasst und umgesetzt werden, wie viel Sinn macht es dann, eine noch feinere Unterteilung auszuspielen, wie es z. B. die Schweizer Kollegen tun?

PH
Das ist eine gute Frage. Ich kann mir vorstellen, dass
das ein nützliches Instrument für die Kommunikation zwischen den Prognostikern sein kann und die Konsistenz der Bewertungen warndienst-intern verbessern kann, wenn die Bedingungen zwischen zwei Stufen liegen. Frank Techel hat dies in einer seiner Studien sehr schön gezeigt. Aus der Sicht der Nutzer bin ich mir jedoch nicht sicher, ob es einen bedeutenden Unterschied macht. Werden Freizeitsportler ihr Verhalten wirklich aufgrund eines + oder − ändern? Meiner Meinung nach ist es viel wichtiger, die Unterschiede bei der Art des Lawinenproblems zu kommunizieren, denn das hat einen wesentlich größeren Einfluss darauf, wie die Menschen ihr Risiko managen sollten, als ob die Gefahr nun 2+ oder 3- ist.
Ich bin auch der festen Überzeugung, dass wir die einzelnen Informationsprodukte nicht überfrachten sollten. Mit einer ordinalen Lawinengefahrenskala lassen sich halt nur bestimmte Inhalte kommunizieren.

„1/3 suchen ihr Tourenziel bei 1 und 2 hauptsächlich
aufgrund der Gefahrenstufe aus und berücksichtigen
die anderen Informationen kaum.“

a:b
Für die Kernzone – Exposition und Höhenband – verwenden die Warndienste verschiedene Darstellungen. Welche wird in der Kommunikation am besten verstanden?

PH
Unsere Studie in Nordamerika hat gezeigt, dass eine
einzige Grafik, welche die Höhen- und Expositionsinformationen für ein Lawinenproblem kombiniert, besser funktioniert als die Darstellung mit zwei separaten Grafiken. Die Studienteilnehmer, denen die kombinierte Grafik vorgelegt wurde, lösten unsere Aufgaben schneller und mit weniger Fehlern. Das zeigt, dass die Kombination dieser Informationen eine mentale Anstrengung erfordert, die vielleicht auf wichtigere Dinge konzentriert werden könnte. Es ist jedoch dazuzusagen, dass die Höhenbänder in den nordamerikanischen Lawinenvorhersagen statisch sind – für alpines Gelände, Gelände im Bereich der Waldgrenze, und Gelände unterhalb der Waldgrenze –, was es einfacher macht, eine leichter verständliche Expositions-Höhenrose zu erstellen als im europäischen Kontext, wo sich die Höhengrenze täglich ändert. Daher sind diese Ergebnisse möglicherweise nicht zu 100 Prozent auf die europäische Situation übertragbar.

a:b
Aber kann es sein, dass – unabhängig von der Darstellung – das eigentliche Problem im Verständnis von Fachbegriffen, also der Übertragung von Exposition und Höhe in die Karte bzw. ins Gelände, besteht?

PH
Ja, das ist sicherlich die nächste große Hürde: Wie werden diese Informationen dann bei der Tourenplanung und letztlich im Gelände umgesetzt? Ich glaube aber, dass wir versuchen sollten, jede relevante Komponente in der Warnung – und natürlich auch in der Ausbildung – so zu optimieren, dass sie möglichst vielen Nutzern zugänglich und hilfreich ist. Der Gesamtprozess und -erfolg ist nur so stark wie sein schwächstes Glied.

a:b
Aber kann und soll eine Lawinenprognose die Defizite in Wissen und Können kompensieren? Bulletin lesen statt Ausbildung besuchen …?

PH
Hm, das ist eine interessante Betrachtungsweise, aber
ich sehe das nicht nur als Defizit auf der Nutzerseite. Wenn es Möglichkeiten gibt, die Informationen in der Lawinenvorhersage zugänglicher und verständlicher zu machen, sollten wir das auf der Grundlage der bestmöglichen Erkenntnisse tun. Wir sollten die Nutzer dort abholen, wo sie sich befinden, und dann gemeinsam weiterarbeiten, anstatt sie mit einer Vorhersage voller Fachjargon in die Ausbildung zu drängen. Außerdem haben wir viel mehr Kontrolle über unsere Produkte als über die Nutzer. Es scheint mir wesentlich erfolgversprechender zu sein, die Gestaltung unserer Prognosen zu ändern als die Einstellungen und Verhaltensweisen der Wintersportler.
Natürlich gibt es dabei auch Grenzen. Wenn jemand nur Tiefschnee und aggressive Lines fahren will, muss er eine entsprechende Ausbildung absolvieren und die Nuancen der in den Vorhersagen enthaltenen Informationen verstehen. Das Interesse am Powdern wird aber nicht von allen geteilt und man muss nicht immer ein Lawinenexperte sein, um sich in den Bergen sicher bewegen zu können. Auch wer einfach mit Freunden eine schöne Zeit im Schnee verbringen und mit Lawinen absolut nichts zu tun haben möchte, sollte die Möglichkeit haben, die für ihn relevanten Informationen in der Prognose zu verstehen.

„Nur 1/6 der Studienteilnehmer ­ nutzte die
grafische Reduktions­methode.“

a:b
Ist das Commitment, ist das Interesse, Wissen und Kön
nen von Skifahrern und Freeriderinnen in Nordamerika höher als in Europa?

PH
Das kann ich schwer beurteilen. Nach dem, was ich ge
hört und mitbekommen habe, ist die Zahl der Menschen, die im Winter im freien Gelände unterwegs sind, sowohl in Nordamerika als auch in Europa in den letzten zehn Jahren drastisch gestiegen. Und Covid hat diese Entwicklung nur noch beschleunigt. Mit mehr Menschen gibt es automatisch auch mehr Anfänger und ein breiteres Spektrum an Ausübenden. Vielleicht ist es nicht allen davon wichtig, eigenverantwortlich handeln zu können und das Engagement zu lernen und sich ausbilden zu lassen weniger ausgeprägt. Möglicherweise ist die Bereitschaft dazu aber in Nordamerika immer noch höher, weil der Zugang zum Gelände einfach schwieriger ist als in Europa. Aber das sind nur Vermutungen.

a:b
Das Umsetzen der Infos aus der Lawinenprognose in eine
grafische Reduktionsmethode wird allgemein als trivial und für alle leicht umsetzbar angesehen. Habt ihr Ergebnisse bekommen, wie gut das tatsächlich funktioniert?

PH
Eine unserer letzten Umfragen beinhaltete eine Übung,
bei der die Teilnehmer eine Gefahrenstufe mit der Exposition und der Höhe der Kernzone oder der Lawinenprobleme bekamen, sowie eine vereinfachte Karte mit vier Hängen, deren Steilheit qualitativ – mit Begriffen wie mäßig steil oder sehr steil – beschrieben war. Die Aufgabe bestand darin, diese vier Hänge von der größten zur geringsten Gefahr zu ordnen. Die Übung war so konzipiert, dass wir feststellen konnten, welchen Ansatz die Teilnehmer zur Lösung des Problems wählten. Das Ergebnis war, dass nur ein Sechstel der Teilnehmer die grafische Reduktionsmethode für die Aufgabe nutzte.

a:b
Bedeutet das, dass der Großteil der Anwender von den
Infos einfach nur überfordert ist und die Lawinenprognose nur etwas für Fortgeschrittene und Könnerinnen ist?

PH
„Überfordert“ ist ein bisschen hart. Aber es könnte bedeuten, dass die Nutzer die Informationen nicht unbedingt so interpretieren, wie wir es von ihnen erwarten. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer in unserer Stichprobe wendete einen systematischen Ansatz an, bei dem sie die vier Hänge zunächst nach der Gefahrenstufe und dann in einem zweiten Schritt nach ihrer Steilheit bewerteten. Dieser Ansatz ist nicht schlecht, er lässt nur außer Acht, dass „mäßig steiles Gelände“ nicht wirklich als Lawinengelände gilt und ein mäßig steiler Hang mit „3–erheblich“ potenziell sicherer ist als ein steiler Hang mit „2–mäßig“.

a:b
Was bringt nach der Gefahrenstufe und Kernzone dann
die Gefahrenbeschreibung?

PH
Ich denke, dass dieser Textblock ein großes Potenzial hat, um eine detailliertere Beschreibung zu liefern, welche die spezifischen Schneedecken- oder Geländemerkmale hervorhebt, auf die man achten sollte, oder wie man die damit verbundenen Risiken bewältigen kann. Diese Beschreibung sollte die Gefahreneinstufung und die Informationen zu den Lawinenproblemen ergänzen und nicht wiederholen. Um wirksam zu sein, müssen diese Beschreibungen jedoch verständlich formuliert und gut umsetzbar sein.

a:b
Nun gibt es verschiedene Meinungen wie sinnvoll warnende Begrifflichkeiten wie „heikel“ und „heimtückisch“ oder Hinweise zur erforderlichen Erfahrung sind. Bringen solche Appelle etwas?

PH
Wir haben die Teilnehmer ausdrücklich gefragt, für wie
gefährlich sie die Bedingungen halten, wenn solche Begriffe verwendet werden und zwar auf einer Skala von 0 bis 100. Dabei haben wir acht Begriffe ausgewählt: kritisch, gefährlich, ungünstig, heimtückisch, heikel, recht günstig, mehrheitlich günstig und günstig. Die ersten fünf Begriffe wurden alle mit etwa 80 auf unserer Skala als gefährlich eingestuft, während die letzten drei Begriffe mit etwa 25–30 als eher sicher bewertet wurden. Die Begriffe werden also entweder als gefährlich oder als nicht gefährlich interpretiert, aber die Nuancen entgehen den Nutzern wahrscheinlich. Erschwerend kommt hinzu, dass die Begriffe in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich interpretiert werden, was zu zusätzlichen Missverständnissen führen kann. Meiner Meinung nach zeigen diese Ergebnisse, dass die Verwendung von nur zwei Begriffen, z. B. günstig und gefährlich, die Kommunikation sowohl innerhalb als auch zwischen den Sprachen vereinfachen könnte.
Abgesehen von der terminologischen Herausforderung wird der Nutzen dieser Aussagen auch dadurch eingeschränkt, dass es unklar ist, wie die Information umgesetzt werde sollte. Was macht man mit der Information „Die Situation ist heimtückisch“? Ich verstehe zwar, was die Warner mit dieser Aussage sagen wollen, aber für den durchschnittlichen Leser der Prognosen scheint sie nicht sehr hilfreich zu sein.

a:b
Ist das nicht ernüchternd und frustrierend: Während sich
die Warner und Profis Gedanken über den fachlichen Inhalt der Lawinenprognosen und deren Verbesserung machen, funktioniert in Wahrheit die Kommunikation der grundlegenden Infos nicht?

PH
Ich denke nicht, dass das frustrierend ist. Es macht nur deutlich, dass wir nicht nur eine möglichst genaue Vorhersage erstellen müssen. Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir die relevanten Informationen am besten auf eine greifbare und zugängliche Weise kommunizieren können, damit die Menschen besser informiert entscheiden können, wann und wo sie ins Gelände gehen. Möglicherweise stoßen wir bei regionalen Lawinenprognosen an die Grenzen der Genauigkeit und ich denke, dass die Arbeit an der Zugänglichkeit der Informationen derzeit mehr Potenzial zur Verbesserung der Lawinensicherheit bietet. Damit will ich aber nicht sagen, dass wir aufhören sollten, unsere Methoden zur Gefahrenabschätzung zu verbessern! Wir müssen einfach an allen Aspekten der Kommunikationskette arbeiten, auf die wir Einfluss haben.

„Konkrete Verhaltens- und Geländeempfehlungen sind effektiver
als vage und schwer zu interpretierende Beschreibungen der Bedingungen.“

a:b
Zurück zur Eingangsfrage. Was wären gute Ansätze, um
zumindest in den Lawinenzeiten ein defensives Verhalten bei jenen zu generieren, die man bisher nicht erreicht hat?

PH
Wir sollten den Nutzern direkt sagen, was los ist: „Heute
ist nicht der richtige Tag, um ins Gelände zu gehen.“, „Touren wie die Route X sind nur für Personen mit fortgeschrittener Lawinenausbildung geeignet.“ Oder: „Die räumliche Verteilung des eingeschneiten Oberflächenreifs ist im Bereich der Baumgrenze schwer abzuschätzen. Offene Lichtungen und Wiesen sollte man am besten meiden.“ Unsere Ergebnisse zeigen, dass konkrete Verhaltens- und Geländeempfehlungen effektiver sind als vage und schwer zu interpretierende Beschreibungen der Bedingungen.

a:b
… und was würde deiner Meinung nach passieren, wenn
man von heute auf morgen gar keine Prognose mehr ausspielen würde?

PH
Oohh … es gäbe Aufstände! (lacht) Lawinenvorhersagen
sind ein so wichtiger Bestandteil des Wintersports abseits der Pisten, dass das nicht akzeptiert werden würde.. Ich glaube, die Community würde sich selbst organisieren, um eine Art von Informationsaustausch zu schaffen, aber die Unfälle könnten trotzdem zunehmen. Die Wintersportler müssten sich mehr auf den Ansatz „mal sehen, was passiert“ verlassen – aber wenn man erst einmal im Gelände ist, ist es recht schwierig, umzudrehen …

a:b
Das Fazit eurer bisherigen Auswertungen für die Lawi
nenprognostikerin?

PH
Unsere wichtigste Botschaft lautet: „Achte nicht nur auf
die Genauigkeit der Vorhersage, sondern auch darauf, wie klar und zugänglich du diese Informationen vermitteln kannst.“ In der Risikokommunikation ist bekannt, dass in detailliertes Verständnis des Zielpublikums für eine effektive Kommunikation entscheidend ist. Lasst uns also gemeinsam daran arbeiten, das zu erreichen. Wie wir in einigen unserer Studien gezeigt haben, kann gezielte Forschung in diesem Bereich sehr konkrete Erkenntnisse darüber liefern, wie die Vorhersagen effektiver gestaltet werden können.

a:b
… und für die Anwenderin?

PH
„Deine Ansichten sind wichtig und wertvoll. Wir wollen
mit dir zusammenarbeiten, um deine Bedürfnisse besser zu verstehen und die Lawinenvorhersage für dich besser zu machen.“ Die Entwicklung von Produkten zur Lawinensicherheit bzw. Risikobeurteilung sollte die Perspektiven aller Betroffenen einbeziehen und nicht nur auf den Meinungen von Lawinenexperten basieren.

„Die Entwicklung von Produkten zur Lawinensicherheit bzw.
Risikobeurteilung sollte die Perspektiven aller Betroffenen einbeziehen
und nicht nur auf den Meinungen von Lawinenexperten basieren.“

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