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Michael Bauer nach dem Gespräch mit analyse:berg. Foto: Carina Karlovits/Bundesheer

„Der Vorteil: Ich polarisiere. Der Nachteil: Ich polarisiere.“

Der Österreichische Bergrettungsdienst (ÖBRD) veranstaltet mit dem Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) und dem ÖKAS jährlich das Netzwerk Symposium Bergrettung. 2024 ging es u. a. um das Thema „Soziale Medien: Fluch oder Segen“ und Oberst Michael Bauer sprach dazu als Pressesprecher des Österreichischen Verteidigungsministeriums. Dieser Vortrag war das Highlight der Veranstaltung. Niemand hat erwartet, dass gerade das Bundesherr eine moderne und effiziente Krisenkommunikation etabliert hat, welche die verschiedenen sozialen Medien clever verwendet. Warum Oberst Michael Bauer auf seinem Leitkanal X – früher Twitter als Person und unter seinem Namen postet, hat der Krisenmanager des Österreichischen Bundesheeres schlüssig erklärt. Von seinen Learnings und Empfehlungen aus 15 Jahren Berufserfahrung profitierten die Vertreter aller anwesenden Organisationen. Weil die Zeit aber nicht für alle Fragen ausreichte, haben wir nochmals mit Michael Bauer gesprochen.

Im Gespräch:
Michael Bauer
Pressesprecher des Österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung

Interview:
Peter Plattner und Riki Daurer

Michael Bauer nach dem Gespräch mit analyse:berg. Foto: Carina Karlovits/Bundesheer

↑ Michael Bauer nach dem Gespräch mit analyse:berg.
Foto: Carina Karlovits/Bundesheer

a:b
Oberst Bauer, was ist Ihre Aufgabe beim Bundesheer?

MB
Ich bin seit 2010 der Sprecher des Österreichischen Verteidigungsministeriums. Entstanden ist mein Job damals aus einer Krise, die das Bundesheer ausgelöst hat: Bei einer Übung im Februar 2009 wurden mehrere Nebelhandgranaten gezündet, deren Rauch die Sichtverhältnisse auf der Donauufer-Autobahn so verschlechterten, dass eine Massenkarambolage mit einer toten und mehreren schwerverletzten Personen die Folge war. Als Konsequenz der darauf folgenden fatalen Kommunikation des Bundesheeres wurden viele Abläufe geändert. Der Verteidigungsminister hat festgelegt, dass es eine Person geben muss, welche das Gesicht und die Stimme nach außen sein soll und ist. Das betrifft nicht nur die allgemeine Kommunikation, sondern auch und vor allem die Kommunikation in Krisen. Und das mache ich jetzt seit 15 Jahren, wobei mein Schwerpunkt in der Kommunikation mit Medien liegt.

a:b
Welche Kommunikationsfehler waren das?

MB
Wir haben dieses Ereignis analysiert und folgende wesentliche Kapitalfehler wurden gemacht:

  • Wir haben nicht eine Person kommunizieren lassen, sondern 13.
  • Wir haben ganze zwei Tage für die erste offizielle Presseaussendung benötigt.
  • Wir waren nicht transparent; konkret, wir haben nicht immer die Wahrheit gesagt, sondern versucht, uns irgendwie durchzuwursteln.
  • Wir haben kein Mitgefühl gezeigt. Ich kann mich erinnern, dass wir damals der Ansicht waren, dass das Zeigen von Mitgefühl eine Art Schuldeingeständnis gewesen wäre. Und wir wussten ja nicht einmal, ob wir tatsächlich schuld sind.

Insgesamt wurden wir für diesen Vorfall mehrere Tage, oder besser gesagt Wochen, durch die mediale Manege „gedroschen“. Was kein Wunder war, schließlich sind wir der Kommunikation sozusagen immer hinterher gehoppelt und konnten nicht mehr aufholen, was wir in den ersten Tagen verabsäumt hatten.

a:b
Waren damals soziale Medien schon ein Thema?

MB
Nein. Das Bundesheer hatte damals weder einen Twitter– heute X – noch einen Facebook-Account. Soziale Medien waren damals zwar das Neue, hatten aber bei weitem nicht diesen Hype und diese Bedeutung wie heute.
Jedenfalls hat der damalige Krisenfall dazu geführt, dass wir durch die Analyse und die Aufarbeitung unserer Fehler quasi „Zehn Gebote“ erarbeiten konnten. Seitdem gab es immer wieder Krisen, die wir aber weit besser und professioneller kommunizierten und bei denen auch die sozialen Medien bereits eine große Rolle gespielt haben.

a:b
Die sozialen Medien mit ihrem Shitstormpotenzial sind Fluch und Segen. Überwiegen für Ihre Arbeit die Nachteile, die Vorteile oder ist es eigentlich ein faires Spiel?

MB
Man kennt die Spielregeln, man weiß, wie die Sache funktioniert. Eine Krise muss nicht zwangsläufig zu einem Shitstorm führen. In der Vergangenheit hatten wir Krisen – davon reden wir, wenn jemand stirbt –, die zwar zu einem höheren Aufkommen und vielen Anfragen auf den sozialen Medien geführt haben, aber zu keinem Shitstorm. Warum? Weil wir transparent, schnell und offen kommuniziert haben. Ein Shitstorm wird immer dann ausgelöst, wenn man Dinge tut, die unnötig sind oder wenn die Spielregeln der sozialen Medien nicht eingehalten werden.
Die sozialen Medien, gerade X, sind als Krisenwerkzeug durchaus geeignet. Sie bieten den Vorteil, viele Menschen in kurzer Zeit zu erreichen. Wir haben die Möglichkeit zu erläutern, dass etwas passiert ist, zu beteuern, dass es uns leid tut und dass wir alles tun, um zu einer raschen Aufklärung und – wenn möglich Wiedergutmachung beizutragen. Wir laden die Leute ein, an diesem Prozess teilzuhaben und Fragen zu stellen.
Was sich im Falle einer Krise durch soziale Medien jedenfalls am deutlichsten verändert hat, ist die Geschwindigkeit. 2009 gingen wir davon aus, dass eine Presseaussendung wenige Stunden nach dem Vorfall früh genug sei. Um heute Erster zu sein – und das wollen wir natürlich sein –, haben wir meiner Erfahrung nach ungefähr 15 Minuten Zeit, um den ersten Tweet abzusetzen.

„Man kennt die Spielregeln.
Eine Krise muss nicht zwangsläufig
zu einem Shitstorm führen.

a:b
Ist aber jeder Shitstorm eine Krise?

MB
Nein, ich würde den Shitstorm nicht nur negativ sehen. Ich nütze durchaus auch Möglichkeiten, einen kalkulierten Shitstorm – vielleicht auch nur ein Stürmchen – auszulösen. Ein kleines Beispiel dazu: Bei der letzten „Airpower“, der Flugshow in Zeltweg, die alle zwei Jahre stattfindet, ist mir der Speiseplan für die Mitarbeiter in die Hände gefallen. Dieser beinhaltete sowohl mittags als auch abends ausschließlich Fleisch. Wie wir vermutlich alle wissen, sind gerade auf den sozialen Medien viele Menschen, die sich aus diversen Gründen – Fleisch ist ungesund, ist schlecht für die Umwelt u. s. w. – vegan ernähren. Ich habe diesen Speiseplan also ganz bewusst im Wissen gepostet, dass dies zu einer erhöhten Kommunikation, sprich Reichweite, mit kalkulierbaren Folgen führt.
Negativ wird der Shitstorm dann, wenn man nicht weiß, warum zwei Stunden nach einem Post das Netz plötzlich völlig übergeht. Ich habe meistens bereits beim Absetzen eines Pots im Auge, welche Reaktionen dieser auslösen wird.
Ganz allgemein ist ein Shitstorm etwas, wo plötzlich die Reichweite und die Anzahl der negativen Beiträge überdimensional hoch ist – wenn aus dem Mess- bzw. Vergleichsfaktor 100 plötzlich 1.000 wird und die Kommentare ausschließlich negativ sind. Wenn man dann zudem aufgrund der Fülle an Kommentaren nicht mehr zum Nachlesen – geschweige denn zum Antworten – kommt, dann muss man sich eingestehen: Das entgleitet mir jetzt.
Die Kunst ist, einen Shitstorm zu vermeiden, wenn man ihn vermeiden möchte. Aus diesem Grund haben wir beispielsweise auf unserer Facebook-Seite von Anfang an ein Vier-Augen-Prinzip: Jedes Posting wird von zwei Personen vorab gelesen. Formuliert z. B. der Kommandant oder der Öffentlichkeitsarbeiter des Jägerbataillons 24 in Lienz einen Post zu den Inhalten ihrer Gebirgsausbildung, stellt er diesen in eine interne, geschlossene Gruppe und ich und unser Facebook-Verantwortlicher schauen uns diesen Post an. Nur wenn wir beide der Meinung sind, dass alles passt, geht dieser Post online. Mit diesem Prinzip haben wir es bisher auf Facebook tatsächlich geschafft, kein einziges Mal einen Shitstorm auch nur annähernd ausgelöst zu haben.

a:b
Ein Shitstorm ist also vermeidbar?

MB
Ich würde sagen, 80 Prozent sind tatsächlich vermeidbar. Meistens kann man sich ausrechnen was passiert, wenn man gewisse Dinge postet. Manchmal denkt man sich auch erst im Nachhinein, gut, dass hätten wir wissen können.
Und dann gibt es dennoch 20 Prozent, wo man sagt, das haben wir nicht gewusst. Auch hier ein Beispiel: Wir hatten am 26. Oktober zum Nationalfeiertag eine große Leistungsschau des Bundesheeres am Heldenplatz in Wien. Auf einem Posting von uns sieht man einen Soldaten, der auf seiner Uniform ein Abzeichen trägt, das er eigentlich überhaupt nicht tragen darf und das einen etwas eigenartigen Hintergrund hat. Manche sagen, es sei im äußerst rechten Bereich angesiedelt, manche sogar, es sei aus dem nationalsozialistischen Bereich – es könnte beides sein. Das ist uns „passiert“, weil wir das Abzeichen schlicht nicht gesehen haben.

a:b
Entstehen Shitstorms auch auf fremden Kanälen und haben Sie das auch am Radar?

MB
Ja, entscheidend ist hier die Medienbeobachtung. Es gibt natürlich auch Shitstorms, die irgendwo anders passieren, wo wir aber selbst die Leidtragenden sind. Allerdings sehr selten, weil wir extrem gut vernetzt sind. Zudem gibt es viele Leute, die mir auf X oder auch als Direktnachricht irgendeinen Beitrag von irgendjemandem, der sich kritisch oder negativ gegen das Bundesheer äußerst und den ich tatsächlich nicht gesehen habe, senden. Allein durch diese „Schwarmintelligenz“ vieler Follower, die in irgendwelchen anderen Netzwerken unterwegs sind, kommt es daher wirklich selten vor, dass wir etwas überhaupt nicht mitbekommt, das sozusagen im Nachbartal passiert und sich gegen die eigene Ortschaft richtet.

„Manchmal ist man
eben auch machtlos.

a:b
Sie kommunizieren auf X nicht als Organisation, sondern als Person mit Ihrem Namen und Gesicht. Das wird Vor-und Nachteile haben.


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„In einer Krisensituation liegen
70 Prozent des Erfolges
in der Vorbereitung.

a:b
Warum sind Sie fast schon unsympathisch begeistert von Ihrem Job?

MB
Weil er jeder Tag anders ist, was ihn spannend und vielfältig macht.
Kürzlich haben wir unsere Themen der letzten Jahre aufbereitet: Von der Rückrufaktion von Schuhen aus krebserregenden Materialen, Auslandseinsätzen, das Jagdkommando und Soldatinnen bis zum Eurofighter, der einen Heißluftballon abfing, ist alles dabei.
Wir haben einen eigenen Friedhof und Postämter, Schulen, Apotheken, Flughäfen, einen ganzen AlpinSektor mit Bergführern u. v. m. Langweilig wird es also nie und nach all den Jahren gibt es immer noch Themen, wo ich mir denke: Das hatten wir noch nie.
Es ist einfach wahnsinnig spannend und abwechslungsreich, in dieser riesigen Organisation mit 55.000 Mitarbeitern zu arbeiten. Ganz ehrlich: Ich würde meinen Job für keine andere Organisation machen.

a:b
Ihre Tipps für alpine Organisationen und Krisen?

MB
Das Wichtigste ist die Vorbereitung. Ich empfehle jeder Organisation mögliche Szenarien durchzuspielen. In einer Krisensituation liegen 70 Prozent des Erfolges in der Vorbereitung.
Wird man ohne Vorbereitung mit einer Krise konfrontiert, wird man ziemlich sicher scheitern. Wenn ich aber mit dem Wissen in eine Krise gehe, das alles schon einmal durchgearbeitet, auch wenn es nur ein Trockentraining war, zu haben, dann wird es funktionieren. Das ist wie Bergsteigen und Training: Ohne die notwendige Kondition werde ich zusammenbrechen und die Tour nicht schaffen oder habe danach einen solchen Muskelkater, dass ich nicht mehr gehen kann. War ich aber davor laufen oder am Rad, dann geht es leichter und besser.
Zweiter Punkt: Es muss jedem klar sein, wer in einer Krisensituation welche Aufgaben übernimmt. Das muss vorab definiert sein, denn während der Krise lässt sich das nur schwer zuteilen.
Und drittens ist in einer Krise heutzutage der Faktor Zeit entscheidend. Wenn ich nicht schnell genug bin und es schaffe, die Welle rechtzeitig aufzuhalten, dann wird sie über mich hereinbrechen. Und damit sind wir wieder bei den ersten beiden Punkten, denn ohne Übung und Zuteilung der Aufgaben kann man nicht schnell und gut arbeiten.
Beispiel gefällig? Vor kurzem hatten wir in Österreich eine Übung mit der Schweizer Armee, bei der drei Unfälle passiert sind. Da wir mit unseren Schweizer Kollegen aber bereits zwei Monate davor virtuell verschiedene Krisensituationen durchgespielt hatten, bei der viele Dinge aufgepoppt sind, die wir sofort optimieren und abstimmen konnten, hat die Aufarbeitung und Kommunikation wesentlich besser funktioniert. So konnten wir uns bei den tatsächlichen Unfällen dann auf die Probleme konzentrieren, die wir nicht beseitigen konnten. Die Vorbereitung ist also das Allerentscheidendste.

Links & Publikationen:

ekas_analyse-berg_abo_2025

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