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ÖKAS Bikekampagne © Matthias Knaus
Im Frühjahr 2023 beschließen zwei befreundete Mountainbikeprofis, eine Ausfahrt im Stubaital zu machen. Bei der Abfahrt auf der Forststraße kommt es zu einem Sturz. Sie berichten, welche unerwarteten Konsequenzen dieser unspektakuläre Unfall nach sich zog und was sie für sich und die MTB-Ausbildung daraus mitnehmen.

Unfallhergang

Die erste Biketour der Saison starteten die beiden Freunde mit ihren Biobikes auf die Pfarrachalm, Stubaital. Bei der Abfahrt – Paul fuhr als Letzt, passierte ihm ein simpler Fahrfehler und es verschlug ihm das Vorderrad. Beim Sturz rammte er sich den Lenker in den Bauch und stürzte auf das Rad. Der Sturz hatte Atemnot und massive Schmerzen im Brustraum sowie einen schmerzenden Finger zur Folge. Paul konnte sich nur mit Mühen neben das Rad auf den Boden legen. Äußerlich waren keine Verletzungen zu sehen.

Markus, der voraus fuhr wurde wieder zum Verunfallten geordert. Gemeinsam schoben sie Richtung Auto mit dem Ziel selbständig zum Arzt zu fahren. Erst als Paul nicht mehr selbst laufen konnte wurde der Notruf via SOS-EU-Alp abgesetzt. Pauls Zustand hatte sich rapide verschlechtert. 10 Minuten später traf die Rettung ein – die beiden hatten es bis zur Asphaltstraße geschafft. Zwei Sanitäter luden Paul ins Rettungsauto und checkten ihn durch. Es stellte sich bald heraus, dass noch am Weg zum Krankenhaus ein Notarzt dazustoßen muss. Markus wurde in der Zwischenzeit von der eintreffenden Polizei zum Unfall befragt und kümmerte sich um die Bikes.

Der Notarzt verabreichte Schmerzmittel und forcierte einen Zügigen Transport ins Krankenhaus. Ein sofortiges CT zeigte eine Einblutung der Leber. Nach engmaschiger Kontrolle in den ersten 24 Stunden auf der Intensivstation konnte Entwarnung gegeben werden.

Fazit: Ein kleiner Lebereinriss bei welchem die Blutung von selbst stoppte sowie ein gebrochener Finger und geprellte Rippen. Glück im Unglück.

Der gesamte Unfallhergang sowie die Vorgehensweisen der beiden Biker in der Notfallsituation kann im Detail in unserem Fachmagazin analyse:berg Sommer 2023 nachgelesen werden.
analyse:berg Sommer 2023

Fotos: Markus Emprechtinger & Paul Mair im Interview für analyse:berg Sommer 2023 | © argonaut.pro

Learnings Paul

Alarmzeichen

Wir müssen uns die Frage stellen, was uns als Ersthelfer nach einem Unfall triggert. Offenbar sind wir immer dann höchst alarmiert, wenn jemand schreit und blutet. Dabei sollte es uns viel mehr beunruhigen, wenn jemand sehr ruhig ist und man keine äußeren Verletzungen feststellen kann.
Wenn jemand auf die von Markus eingebrachte Frage: „Was ist dir im Moment
möglich?“ mit „Gar nichts!“ antwortet, dann verändert das die Entscheidungsgrundlage
gänzlich. Dann sollte immer auch eine innere Verletzung in Betracht gezogen werden, auch wenn der Unfall an sich harmlos ausgesehen bzw. wie bei mir bei sehr geringer Geschwindigkeit stattgefunden hat.

Heldenmythos

Keinesfalls ist es sinnvoll, die Situation nach einem Sturz zu negieren, weil man die Folgen nicht wahrhaben möchte. Auch falsche Eitelkeit, Heldenmut oder das Gefühl, keinen „Zinnober“ auslösen zu wollen, sind fehl am Platz, wenn man echte Schmerzen hat. In einem solchen Fall sollte man lieber früher als später den Notarzt inklusive Hubschrauber alarmieren.

Fahrtaktik & -technik

In jeder Fahrsituation – auch beim Bergauffahren – sollte man sich einen fortwährenden Überblick über den Sturzraum verschaffen: Besteht Absturzgefahr, lande ich auf der harten Schotterstraße oder in der Wiese, könnte ich
gegen einen Baum krachen, gibt es andere Verkehrsteilnehmer usw.
Eine angepasste Fahrweise und ein guter allgemeiner Trainingszustand können helfen,
einen Sturz zu verhindern bzw. die Konsequenzen zu mindern. Man sollte sich gut überlegen, wann und wo man allein unterwegs ist.

Ausrüstung

Helm und gute Handschuhe sind Pflicht, aber auch Protektoren – je abfahrtsorientierter man unterwegs ist, desto mehr – können einen Sturz
entsprechend abmindern. Das Rad sollte immer gut gewartet sein und den Ansprüchen der Tour sowie der Fahrweise gerecht werden.

Learnings Markus

Engmaschige Kontrolle

Um eine Verbesserung oder Verschlechterung des Zustandes des Verunfallten feststellen zu können, ist es notwendig, das ABCDE-Schema über einen längeren Zeitraum laufend durchzuführen. Nur ein einziger Durchgang bei der Erstuntersuchung ist zu wenig. Als Laie ist es praktisch unmöglich, innere
Verletzungen zu erkennen. Daher ist eine laufende Kontrolle des Patienten die einzige
Möglichkeit, Veränderungen festzustellen und reagieren zu können. Neben dem Checken der neurologischen Fähigkeiten würde es auch Sinn ergeben, nach der Motivation zu fragen, sprich: „Was ist dir im Moment möglich?“ Dabei würde sich vielleicht ein allgemein schlechter Zustand ohne äußere Verletzungen besser zeigen, der eventuell auf innere Verletzungen hindeuten könnte.

Immer zum Arzt

Auch wenn sich nach einem MTB-Sturz der Zustand des Patienten bessert, sollte man sich dennoch von einem Arzt bzw. im Krankenhaus durchchecken lassen. Wie bei einem Lawinenunfall handelt es sich meist um Unfälle mit hohen Geschwindigkeiten und innere Verletzungen, die sich erst später in Symptomen äußern, müssen ausgeschlossen werden.

Notfallplan

Auch wenn der Großteil der MTB-Unfälle glimpflich ausgeht und der Gestürzte selber
auf dem Rad weiterfahren kann, sollte jeder der Gruppe immer einen Plan B, sprich eine plausible Rettungskette, im Hinterkopf haben und diese permanent updaten. Fragen wie „Habe ich Handyempfang?“, „Bin ich mit einem Rettungsauto erreichbar?“, „Herrscht heute Flugwetter?“ usw. sind dabei hilfreich.

Notruf

Beim Absetzen des Notrufes sollte man keinesfalls
untertreiben und den Unfall bagatellisieren,
sondern 1:1 die tatsächliche Situation beschreiben.
Es gibt gewisse Begriffe und Symptome,
nach denen der Calltaker der Leitstelle
entscheidet, welches Rettungsmittel alarmiert
wird.

Erste-Hilfe-Paket

Das Erste-Hilfe-Paket sollte bei jeder MTB-Tour
im Rucksack mitgeführt werden.

analyse:berg Sommer 2023 – das gesamte Interview

Das gesamte Interview mit weiteren Informationen zu Ersten-Hilfe-Ausbildungen beim MTB sowie einen Beitrag von Philipp Dahlmann, Notfallsanitäter (D), TC HEMS, zum Erkennen und Maßnahmen von inneren Blutungen bei Unfällen ist in unserem Fachmagazin analyse:berg Sommer 2023 nachzulesen.

analyse:berg Sommer 2023

Im Fachmagazin analyse:berg - Ausgabe Sommer 2023, erklärt Philipp Dahlmann wie man nach Unfällen innere Blutungen erkennen kann und welche Erste-Hilfe-Maßnahmen zu ergreifen sind.