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„Gefühlte“ Kompetenz? – Das Unvermögen, seine eigenen Fähigkeiten einzuschätzen

Sabine Schipflinger
Sportwissenschafterin, Skilehrerin & -führerin, MTB-Guide

Philipp Dahlmann
Bildungsswissenschafter, Notfallsanitäter

ZUR EINORDNUNG

Lernen bzw. (Aus-)Bildung zielt auf den Erwerb von Kompetenzen ab, mit der Idee, eine Verhaltensänderung zu erreichen. Die Bildungswissenschaft unterscheidet dabei zwischen sozialen, fachlichen und personellen Kompetenzen. Die fachliche Kompetenz lässt sich recht einfach erklären und bezieht sich auf theoretisches als auch praktisches Wissen sowie die Fähigkeit und Fertigkeit, dieses Wissen auch anzuwenden (Skills). Mit den beiden anderen Kompetenzen ist es etwas komplizierter. Komplizierter deswegen, da eine „professionelle“ oder angemessene Handlung immer aus der Kombination aller drei Kompetenzen besteht – auch Methodenkompetenz genannt – und sich die soziale, aber allen voran die personelle Kompetenz nicht so greifbar darstellen lassen. Allgemeingültig lässt sich sagen, dass die Sozialkompetenz jene Fähigkeit ist, die während einer Interaktion zwischen mehreren Personen stattfindet, um eine Lösung der Aufgabe oder der Herausforderung zu erzielen. Aus der Sicht z. B. der professionellen Rettung wäre hierbei die Anwendung verschiedener Methoden aus dem Team-Resource-Management wie etwa „Verteile den Workload“, „Kommuniziere sicher und effektiv“ oder auch die „10-für-10-Methode“ möglich.

PERSPEKTIVENWECHSEL SKIFÜHRERIN

Interaktion zwischen Personen ist auch am Berg essenziell, um eine Lösung oder Entscheidung zu treffen. Als verantwortliche Skiführerin treffe ich die Entscheidungen für meine Gruppe allein. Durch meine Ausbildung und stetige Weiterbildung muss ich die Sicherheit der Gäste gewährleisten und mir dieser Verantwortung bewusst sein. Bin ich mit „Gleichberechtigten“ — selbes Level, jede eigenverantwortlich u. ä. — in einer Gruppe unterwegs, ist Kommunizieren der Schlüssel, um gute Entscheidungen zu treffen. „Nein“ zu einer Abfahrt zu sagen oder wenn im Aufstieg schon einige Faktoren gegen das Weitergehen sprechen, ist dabei kein Zeichen von Schwäche, sondern zeigt Größe und zeugt von Kompetenz. Auch Gruppendynamik/-zwang ist am Berg fehl am Platz. Situationen können falsch bewertet oder unrealistische Erwartungen geweckt werden. Sei es auf Skitouren oder beim Freeriden, man trifft immer wieder Personen ohne oder mit veralteter Notfallausrüstung. Ich denke, diesen Menschen fehlt die Fähigkeit sich selbst zu beurteilen und die Situation bzw. deren Konsequenzen zu bewerten.

Personelle Kompetenzen zielen auf den Akteur bzw. die Akteurinnen selbst ab. Die eigenen Werte und Ziele, die persönliche Motivation, aber auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, sind dabei vordergründig. Auch im Gesundheitssystem gilt der „Faktor Mensch“ als einer der größten Herausforderungen in der professionellen Rettung.

DER DUNNING-KRUGER-EFFEKT*

Je mehr Wissen und Können man anhäuft, desto eher vermeidet man Überschätzung. David Dunning und Justin Kruger konnten 1999 in ihrem Konzept (Dunning-Kruger-Effekt) herausarbeiten, dass Selbstüberschätzung mit mangelndem Wissen und Können einhergeht. Landläufig könnte man dies auch mit „gefährlichem Halbwissen“ übersetzen, etwas intellektueller wäre die Bezeichnung „unbewusste Inkompetenz“.

PERSPEKTIVENWECHSEL SKIFÜHRERIN

Meist liegt es in der Natur der jeweiligen Person, die eigene Unfähigkeit aufgrund Selbstüberschätzung nicht wahrzunehmen. Um sich ihrer bewusst zu werden, erweisen sich konstruktives Feedback sowie eine gewisse Beharrlichkeit als hilfreich. Besonders wichtig ist in solchen Situationen das behutsame Formulieren des Feedbacks. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen Menschen sich eher unter- als überschätzen. Das beobachte ich oft bei den weiblichen Teilnehmerinnen in Ski- oder Bike-Gruppen.

WAS WIR GERNE MITTEILEN MÖCHTEN

Ob bei „Flow-Sportarten“ wie Biken oder Skifahren, beim Guiden oder Retten: Gekonnte und kalkulierte Handlungen, zu denen man auch begründet stehen kann, sind nicht das Thema. Vielmehr sollte es darum gehen, den „Gipfel der Ignoranz“ und Naivität rasch hinter sich zu lassen, um durch solide Bildung und Reflexion das mühsame „Tal der Verzweiflung“ möglichst bald durchqueren zu können (vgl. Abb.). Wirklich entronnen ist man diesem aber erst, wenn man Triggern von außen widerstehen kann. 😉
Methoden zur bewussten Entscheidungsfindung, das geschulte Agieren im Team, das Kennen der eigenen Limits und ein resilientes, mentales Modell zur Bereitschaft, Verantwortung zu tragen, können dabei als „Booster“ fungieren.

*Der Dunning-Kruger-Effekt ist dabei mehr als beschreibendes Phänomen und weniger als statistische Erklärung zu verstehen. Die in der Abb. dargestellte Kurve ist kein Verlaufsmodell, sondern eine Schematisierung. Je mehr Wissen und Können du anhäufst, desto eher kompensierst du deine Überschätzung und erreichst vielleicht sogar Guru-Level …

Links & Publikationen:

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