
„Digitale Welt und Realität dürfen nicht widersprüchlich sein.“
Das Interreg-Projekt DIGIWAY hat das Potenzial, sich zu einem Meilenstein in Sachen Tourenplanung und Unfallprävention beim Bergwandern zu entwickeln. Wir haben beim Land Tirol, dem Tiroler Projektpartner, nachgefragt, was DIGIWAY ist, welche Ziele es verfolgt und welche Möglichkeiten sich durch ein qualitätsgeprüftes digitales System des Wander- und Bergwegenetzes ergeben können.
Im Gespräch:
Klaus Pietersteiner
Land Tirol, Abteilung Waldschutz, Fachbereich Landschaftsdienst
Lucia Felbauer
Geografin, Projektkoordinatorin DIGIWAY
Interview:
Peter Plattner, Christina Schwann
↑ Lucia Felbauer und Klaus Pietersteiner nach dem Gespräch mit analyse:berg.
Foto: argonaut.pro
a:b
Was ist das Projekt DIGIWAY?
KP
Das Projekt DIGIWAY ist ein Interreg-Italien-ÖsterreichProjekt der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino in Zusammenarbeit mit dem Technologiepartner NOI Techpark. Finanziert wird das Projekt über Interreg – gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und Interreg VI-A Italien-Österreich 2021-2027. Die Laufzeit beträgt zwei Jahre, von Jänner 2024 bis Jänner 2026 mit einer Verlängerung bis Ende Juni 2026.
Entstanden ist das Projekt aus dem Projekt RAGNAR, bei dem es vor allem um die Risikoanalyse Steinschlag entlang von Wander- und Bergwegen geht. Daraus hat man im Amt der Tiroler Landesregierung die Notwendigkeit erkannt, die Datenlage rund um das Wander- und Bergwegenetz zu verbessern, um Wanderern und Bergsteigerinnen bessere Möglichkeiten der Tourenplanung zu geben und aufbauend auf qualitätsgeprüften Daten Entscheidungen treffen zu können. In Summe ist es ein sehr facettenreiches Projekt.
a:b
Was bedeutet das konkret?
LF
In der Tat liest sich auch der Projektantrag ein wenig nach Allem und Nichts und es bedurfte durchaus einer Findungsphase im Projektteam. Schließlich hat sich herauskristallisiert, dass wir zum einen bestehende Daten – also jene Geometriedaten des Wegenetzes, die wir von den Ländern zur Verfügung gestellt bekommen zusammenführen wollen. Praktisch kann man sich das wie beim grenzübergreifenden Lawinenlagebericht vorstellen: Auch wir wollen die Daten grenzüberschreitend zusammenführen, harmonisieren und der Öffentlichkeit anbieten. Um das zu automatisieren – und zwar nicht nur einmalig, sondern langfristig und auch laufend aktualisierend –, wird zur Zeit eine entsprechende Software von MovingLayers geschrieben.
Der zweite Schwerpunkt umfasst zwei Pilotstudien einmal im Fassatal und einmal entlang des Fernwanderweges E5, der durch alle drei Regionen führt –, im Rahmen derer wir uns einzelne Themen rund um das Bergwandern herausgepickt haben. Hier wollen wir neue Konzepte erproben, um zu sehen, ob sie funktionieren und ob siespäter auch von anderen Stakeholdern übernommen werden können. Ein Beispiel ist die Klassifizierung von Wander- und Bergwegen und wie man hier die aktuelle Situation der unterschiedlichen Klassifizierungssysteme verbessern kann.
a:b
Wer ist die Zielgruppe des Projektes?
KP
Tatsächlich gibt es mehrere Zielgruppen. Im Endeffekt ist es aber der Endverbraucher – sprich der Wanderer und generell Menschen, die sich auf den Wander- und Bergwegen bewegen. Zielgruppe sind aber auch Wegehalter, die ihre Infrastruktur aufgrund dieser Daten besser digital erfassen können. Eine weitere Zielgruppe sind Behörden, die Verwaltung – so wie etwa mein Fachbereich: Wir fördern Instandhaltungsarbeiten und für uns ist es interessant zu wissen, wer ist auf welchem Abschnitt Wegehalter, wie schwer ist der Weg, wie viele Einbauten gibt es auf diesem Abschnitt? Daraus lässt sich abschätzen, ob 500 Meter Stahlseil auf diesem Teil des Weges gerechtfertigt sind oder nicht. Zielgruppe können im Weiteren auch Rettungsorganisationen wie die Bergrettung sein.
LF
Eine zusätzliche Aufgabe des Projektes sehe ich darin, zwischen den sehr unterschiedlichen Wegehaltern – alpine Verein, Tourismusverbände, Gemeinden etc. – zu vermitteln, was wir aufgrund unserer neutralen Stellung ganz gut können.
KP
Auch Naturschutz ist de facto ein Thema. Schließlich ist das wichtigste Besucherlenkungswerkzeug am Berg ein gut beschildertes und gewartetes Wegenetz. Auch können Naturschutzthemen in einer digitalen Welt sehr gut transportiert werden.
a:b
Alle Wegehalter, egal ob von den alpinen Vereinen oder von Tourismusverbänden, haben ihre eigene Software, ihre Tools. Dazu gibt es im Web zig Tourenportale, die Wandervorschläge, Lenkungsmaßnahmen, Schwierigkeitsbewertungen etc. vorstellen. Auch gibt es offizielle Karten. Seid ihr mit diesem Projekt nicht ein bisschen spät dran?
KP
Das ist eine berechtigte Frage. Und ja, es gibt unzählige Anbieter und Dienste für den Endverbraucher, was es aber nicht leichter gemacht hat; sprich, für den Wanderer ist es extrem unübersichtlich geworden. Er kann nicht mehr nachvollziehen, welche Daten das eigentlich sind, woher sie kommen und in welcher Qualität sie vorliegen. Es gibt Tourenplattformen, die zum größten Teil auf der Open Street Map aufbauen. Dazu muss man wissen, die Daten der Open Street Map können und werden von irgendjemandem eingepflegt – in manchen Regionen sehr gut, in anderen wieder eher schlechter und manchmal sind sie nicht mehr aktuell, weil sich das Wegenetz geändert hat.
Natürlich gibt es auch noch die analogen Karten, die aber stark zurückgedrängt wurden, weil es einfach praktisch ist, alles am Smartphone zu haben. Außerdem haben wir den Eindruck, dass manche Organisationen auf ihren eigenen Daten sitzen – es gibt sozusagen „Datensilos“, die oft nicht zugänglich sind. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Euregio in jeder Region sehr unterschiedliche Datenqualitäten vorhanden sind. Ein Wanderer am E5 hat zudem damit zu kämpfen, dass sich an jeder Grenze die Schwierigkeitsklassifikation ändert, falls es überhaupt eine gibt. Diese Situation wollen wir verbessern – wir wollen die Möglichkeit bieten, über alle Regionen hinweg mit denselben Datengrundlagen zu arbeiten bei gleichzeitiger Beibehaltung der eigenen, bekannten Systeme der Wegehalter.
a:b
Sorry, jetzt muss ich doch nachfragen: Was hat es mit Open Street Map auf sich?
KP
Die Open Street Map kann man sich vorstellen wie Wikipedia. Es ist eine offene Plattform, auf der sich jeder registrieren, anmelden und dort mitwirken und mappen, d. h. Wege einzeichnen, Wege löschen, Wegeattribute erstellen kann. Der große Vorteil der Open Street Map für Betreiber von Outdoor-Plattformen ist die kostenlose Nutzung der Daten. So gut wie jede App, inklusive Ticket-Apps für diverse öffentliche Verkehrsmittel, nutzen die Open Street Map, mit der man sich die Daten so darstellen lassen kann, wie sie für die einzelne Anwendung der App gerade interessant sind. Das Problem ist aber, die Leute vertrauen mehr oder weniger blind darauf, dass die Daten korrekt sind. Dazu kommt, dass alle Arten von Wegen gemappt werden – sprich auch Trampelpfade, die eigentlich nicht als Wanderweg genutzt werden sollten, sind erfasst. Routing-Apps routen dann Leute oft über solche Wege, die selbst ortskundige Bergrettungen nicht kennen. Mit DIGIWAY wollen wir einen Gegenpol schaffen, damit es für Routing-Apps einfacher wird, qualitätsgeprüften Content in ihre Systeme einzubinden. DIGIWAY soll eine Datenbasis schaffen, die ähnlich leicht wie die Open Street Map (kostenlos, flächendeckend verfügbar, vergleichbar und lizenzfrei) zu verwenden ist, mit dem Mehrwert, dass Leute, die dann eine solche App nutzen, darauf vertrauen können, dass diese Information wirklich von den Verantwortlichen für das Wegenetz kommt.
„Mit DIGIWAY wollen wir einen Gegenpol schaffen, damit es für Routing-Apps einfacher wird,
qualitätsgeprüften Content in ihre Systeme einzubinden.“
a:b
Was ist das konkrete Ergebnis eures Projektes?
LF
Im Rahmen des laufenden Interreg-Projektes wird es eine Programmierschnittstelle geben, wo man sich diese Daten kostenlos in Form von Open Government Data (OGD) abholen kann. Es ist nicht unser Ziel, ein eigenes Tourenportal zu erstellen, weil diese gibt es bereits. Ziel ist es, einen offenen Datensatz zum Wanderwegenetz in der gesamten Euregio anzubieten, der von Unternehmen oder Interessierten in ihre Systeme eingepflegt werden kann. Es handelt sich dabei um keinen einmalig zusammengeführten Datensatz, sondern dahinter steckt ein Skriptsystem bzw. eine Software, welche die Datenquellen der drei Landesregionen der Euregio täglich abfragt und den zusammengeführten Datensatz immer aktuell anbietet.
Konkret handelt es sich bei diesen Daten um die Weggeometrie mit den jeweiligen dazu vergebenen Wegattributen. Unter Weggeometrie ist die digitalisierte Linie zu verstehen, die zeigt, wo dieser Wanderweg verläuft. Attribute sind Merkmale wie z. B. eine Wegnummer, ein Wegname, die Schwierigkeit oder in welcher Gemeinde der Weg liegt. Da die Systeme in den drei Regionen so unterschiedlich sind, haben wir nicht in allen drei Regionen die gleichen Attribute. Auch die Dichte an bereits digital erhobenen Wanderwegen ist in Tirol, Südtirol und Trentino unterschiedlich. Aus diesem Grund wird der Datensatz anfangs noch Lücken aufweisen und wir werden nicht alle Attribute für jeden Weg in der Euregio anbieten können. Wir hoffen aber, dass aufgrund von mehr Nutzung auch auf lokaler Ebene erkannt wird, dass die einzelnen Datensätze verbessert werde müssen, was dann wiederum direkt von unserem System übernommen werden würde.
Daneben wird es aber für alle eine öffentliche Webseite geben, wo man sich die Projektergebnisse bezüglich Vergleich der verschiedenen Wegeklassifizierungen usw. ansehen kann.
a:b
Wer pflegt das laufend ein? Vor allem die alpinen Vereine haben ja ihre eigenen Systeme, wo die Wegehalterinnen genau das machen könnten.
KP
Es geht nicht darum, dass die Wegewarte etwas in einem neuen System machen sollen, sondern sie können durchaus in ihrem System bleiben. Von Anfang an war uns wichtig, immer alle Stakeholder zu informieren und mit an Bord zu holen und ihnen eben auch genau diese Angst zu nehmen, dass nun wieder jemand mit einem neuen System daher kommt. Wie Lucia schon erwähnt hat, geht es um eine Schnittstelle. Die Daten der Schnittstelle werden wiederum daraus generiert, dass sie alle möglichen anderen Schnittstellen anzapft. D. h. wir haben erhoben, mit welchen Systemen in den einzelnen Regionen gearbeitet wird, zapfen diese Daten dort ab, harmonisieren sie innerhalb der Euregio und bieten sie dann an einem zentralen Ort an, um es den Plattformbetreibern zu erleichtern, diese Daten dann auch tatsächlich zu nutzen und öffentlich sichtbar zu machen.
a:b
In Tirol haben wir nicht nur private Nutzer, sondern auch Bergwanderführer, die gemäß Bergwanderführergesetz nur gewisse Wege führen dürfen – sprich nur bis rote Bergwege. D. h. in Tirol muss es doch bereits ein Tool geben, wo sie sich erkundigen können, wo sie mit ihren Kunden gehen können und wo nicht?
KP
Tatsächlich ist eine Wegeklassifizierung in der digitalen Welt aktuell noch schwierig abzufragen. Vereinzelt ist es bereits korrekt erfasst – z. B. in der Open Street Map –, aber meines Wissens ist es in Tirol nicht möglich, sich flächendeckend über alle Wege in Tirol digital zu erkundigen, ob es sich um einen roten oder um einen schwarzen Bergweg handelt.
LF
Die Organisationen haben meist im Hintergrund durchaus ihre Systeme, wo sie all ihre Wege und Schilder abgebildet haben, aber öffentlich zugänglich sind diese Daten eben nicht.
a:b
Nun bekommt ihr nicht nur von verschiedenen Organisationen, sondern auch von unterschiedlichen Regionen, die mit verschiedenen Schwierigkeitsbewertungen arbeiten, die Daten. Wie werden diese vereinheitlicht oder aufbereitet?
KP
Das ist ein spannender Punkt, da es eben eine solche Vielzahl an Schwierigkeitsklassifizierungen gibt. Wenn man sich aber die Beschreibungen der Klassifizierungen durchliest, dann findet man durchaus Überschneidungen. Immer wird irgendwo zu lesen sein, dass es abschnittsweise eine Absturzgefahr, eine Ausgesetztheit gibt es kommen immer wieder die gleichen Worte vor. Von Anfang an war unsere Idee zu erheben, wie definieren sich die Schwierigkeitsskalen in den unterschiedlichen Ländern, wo gibt es Ähnlichkeiten und wie könnte man sie von einem System ins andere „übersetzen“. Es ist kein Ziel von DIGIWAY, ein einheitliches Schwierigkeitssystem in den Regionen einzuführen, sondern es soll dargestellt werden, welcher Schwierigkeit ein z. B. schwarzer Bergweg in Nord- und Osttirol einem Weg in Trient entsprechen würde. Tatkräftig unterstützt von der Firma Lo.La. versuchen wir, die Systeme besser zu verstehen und die Kriterien aufzudröseln, um sie dann entsprechend übersetzen zu können.
a:b
Wie war die erste Kontaktaufnahme mit den Stakeholdern, die ihre bewährten Bewertungssysteme ja bereits haben?
KP
Der ein oder andere ist zuerst einmal erschrocken, weil er dachte, man will das System aufbrechen oder ein neues System drüber stülpen. Nach der Erklärung, dass jeder bei seinem System bleiben soll und dass es nur darum geht, die Gemeinsamkeiten herauszufiltern und damit eine Übersetzung herzustellen, haben sich die Wogen auch schnell wieder geglättet. Schließlich versteht auch jeder die Problematik, mit der ein Weitwanderer am E5, der an jeder Grenze einem neuem Bewertungssystem gegenüber steht, konfrontiert ist.
a:b
Nun gibt es ja auch andere Bundesländer, in denen auch gewandert wird. Denkt ihr diese auch ein wenig mit, oder geht es euch in erster Linie um das Tiroler Bergwanderwegekonzept?
KP
Der Österreichische Alpenverein ist in das Projekt stark involviert und ist ein wichtiger Stakeholder. Dementsprechend sind wir mit der Abteilung Hütten und Wege in engem Austausch. Im Projekt DIGIWAY konzentrieren wir uns aber tatsächlich auf die Bewertungsmodelle in der Euregio. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich für ganz Österreich – gerade über den Alpenverein – sicherlich auch nützliche Erkenntnisse und Vorteile ergeben werden.
LF
Ein wenig über den Tellerrand blicken wir natürlich. Die Bewertungssysteme in Vorarlberg und in der Schweiz, die wieder ganz anders aussehen, haben wir schon jetzt in den Übersetzer integriert.
a:b
Stichwort Schweiz: In den letzten zehn Jahren gab es vom Alpenverein, von outdooractiv oder anderen Tourenportalen wie Bergwelten den Versuch, die Schweizer Wanderskala SAC – die T-Skala – zu verwenden, um eine einheitliche, verständliche Bewertung zu erstellen. Wäre die SAC-Skala die beste Lösung, wenn man gänzlich neu starten würde?
KP
Nein, das würde ich so nicht sagen. Es war auch nie Projektziel, alle Skalen über den Haufen zu werfen, oder jemanden eine bestehende Skala aufzuzwingen. Die T-Skala hat ihre Berechtigung wie alle anderen auch. Wir haben einen Übersetzer und wenn sich jemand die T-Skala anzeigen lassen möchte, dann wird der Übersetzer bzw. Rechner auch das ermöglichen. Ich möchte aber nicht bewerten, welche Skala die beste oder die schlechteste ist.
a:b
Die Schwierigkeitsbewertungen von Wander- und Bergwegen lassen meist neben der technischen Schwierigkeit auch noch Länge und Höhenmeter mit einfließen. Was sagt ihr jetzt nach der Grundlagenforschung, welche Art von Schwierigkeitsbewertung wäre für den unbedarften oder auch den klassischen Wanderer am besten?
LF
Was ich im Rahmen der Recherche wirklich interessant fand ist, dass es bei den verschiedenen Klassifizierungssystemen immer fixe Klassenbeschreibungen gibt. Diese sind in jedem System anders. Sie verwenden unterschiedliche Begriffe und Beschreibungen und setzen sich aus verschiedenen Kriterien zusammen. Ich vermisse eine klare Trennung der wichtigsten Kriterien, wie technische Schwierigkeit und Gefährlichkeit, die sich durch Ausgesetztheit oder Konsequenzen bei einem Sturz zeigen.
Am Beispiel eines technisch einfachen, breiten und gut zu gehenden Bergweges, der aber vielleicht sehr absturzgefährdet ist, erkennt man, dass die Zuordnung zu einer Klasse manchmal nicht einfach möglich ist.
Beziehungsweise wäre es als Endnutzerin interessant, detailliertere Informationen zu den eben genannten Kriterien zu erhalten. Auf diesen Überlegungen ergibt sich in weiterer Folge eine Gesamtklassifikation, die sich beispielsweise in Tirol als mittelschwieriger (roter) oder schwieriger (schwarzer) Bergweg ausdrückt. Die Logik des Übersetzers basiert genau auf dieser differenzierten Sichtweise.
Andere Thematiken sind die Ausrüstung, Fitness oder Länge. Diese Kriterien sind subjektiv und sagen mir nichts über den Weg; einer kann einen Weg nur mit Bergschuhen gehen, jemand anderer geht den gleichen Weg mit Halbschuhen. Das kann für die Bewertung eines Weges daher nicht herangezogen werden. Aus diesem Grund ist bei uns alles stark auf die technische Schwierigkeit, die Konsequenz und die Naturgefahren hinausgelaufen.
„Für die Bewertung eines Bergweges müssen technische Schwierigkeit, Konsequenz und Naturgefahren getrennt voneinander betrachtet werden.“
a:b
Was meinst du mit Naturgefahren?
LF
Mit ortstypischen Naturgefahren muss man immer rechnen, aber wenn an einer Stelle übermäßig viele Naturgefahren sind – beispielsweise immer mit Steinschlagaktivität zu rechnen ist –, dann wollen wir das erheben und das auch in der digitalen Welt abbilden, damit diese Information auch für die Tourenplanung bereits zur Verfügung steht. Selbiges gilt für Hinweise auf Weidetiere – eine Information, die vor allem für Hundebesitzer von Interesse ist.
a:b
Ich gehe zurück in die Schweiz: Es gab eine Studie des BFU (Beratungsstelle für Unfallverhütung) wie man Bergwege bewerten kann. Seid ihr mit diesen in Kontakt, gibt es hier einen Austausch?
LF
Ja, diese Studie wurde stark diskutiert. Im Rahmen eines Stakeholdertages im Dezember 2024 haben wir dazu die Projektverantwortliche aus der Schweiz eingeladen, die einen Vortrag zu diesem Thema hielt und darlegte, wie sie mit dem Thema umgehen. Nach wie vor sind wir mit den Schweizern in engem Kontakt, unter anderem auch zu einem Präventionsthema, bei dem wir unser Wissen wiederum zur Verfügung stellen können.
a:b
Wird es den „Schwierigkeits-Übersetzer“ als App-Anwendung für den Endverbraucher geben?
LF
Ja, es wird ein System mit einer interaktiven Schaltfläche auf einer Website geben, damit man sich ansehen kann, wie ein solcher Übersetzer arbeitet. Momentan ist das aber getrennt von den Datensätzen und der Schnittstelle zu sehen.
KP
Ebenso ist es geplant, das valide und aktuelle Daten zum Wegenetz auf dieser Webseite in einer Karte darzustellen, sowie einen von uns entwickelten „AbsturzpotenzialLayer“.
Daneben gibt es Pläne, das Projekt fortzusetzen „DIGIWAY II“ sozusagen. Ich möchte nicht ausschließen, dass das so kommen wird – sprich, wie beim Lawinenwarndienst eine Karte, auf der auch die anderen Daten visualisiert werden. Wir werden aber sicherlich nicht in Richtung einer völlig eigenständigen Routing-App gehen. Es ist nicht Aufgabe der Verwaltung ein Konkurrenzprodukt zu entwerfen. Wir wollen valide Daten zur Verfügung stellen – wie das z. B. die GraphenintegrationsPlattform, kurz GIP*, – für das Straßennetz macht. Wir wollen das alpine Wander- und Bergwegenetz auf diesen Standard bringen, damit ein Routing von Wien-Hauptbahnhof bis auf den Gipfel eines Tiroler Berges dank zusammenpassender Geometrien nahtlos möglich ist. Aktuell gibt es in der Open Street Map Lücken, d. h. die digitalen Linien überschneiden sich irgendwo nicht korrekt und damit ist das Routing nicht möglich.
LF
In der GIP sind schon sehr viele Wanderwegdaten eingepflegt. Wir könnten aber auch nicht einfach irgendwo die Geometrien ändern – die Kompetenz bleibt immer bei den jeweilig Zuständigen in deren Systemen. Wir führen die Daten von den verschiedenen Regionen nur zusammen – und das automatisiert.
Der Alpenverein hat z. B. eine Kooperation mit dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, im Rahmen derer Wanderwege begangen und verifiziert werden, und diese speisen über das AWIS.GIP-Projekt (Alpines Wegeinformationssystem ergänzt das amtliche Straßensystem mit Daten zu Berg- und Wanderwegen) wiederum Daten in die GIP ein. Wobei es mehrere solcher Systeme gibt, in denen das Verkehrsnetz dargestellt wird, aber die GIP ist sicherlich einer der großer Player in Österreich und Südtirol.
„Es wird einen ‚Absturzpotenzial-Layer‘ geben,
der die Konsequenzen im Falle eines Sturzes entlang des Bergweges visualisiert.“
a:b
Wir haben das Jahr 2025. Der Lawinenwarndienst verwendet mittlerweile Layer, wo Lawinendynamiker verschiedenste Parameter errechnen. D. h. es wird doch sicherlich auch beim Wandern in Bezug auf Prävention digital noch mehr möglich sein, als nur die Wege, die Schilder und die Abzweigungen auf einer Karte einzutragen?
KP
Und selbst das ist nicht so einfach. Aber sicher, es gibt noch mehr im Projekt. Wir etablieren gerade den oben erwähnten „Absturzpotenzial-Layer“, der die Konsequenzen im Falle eines Sturzes entlang des Bergweges visualisiert. Anhand von hochauflösenden LaserscanningDaten wurde die unmittelbare Absturzgefahr vom Weg und die weitere Absturzgefahr im weiteren Hangverlauf dargestellt. Wie gut sich das Ergebnis mit den eigenen Beobachtungen im Gelände deckt, hat viele erstaunt. Derzeit findet noch eine Evaluierung im Gelände – im Besonderen entlang des E5 – statt. Auch das ist ein Produkt, das ich mir gut als zusätzlich aktivierbaren Layer auf den großen Plattformen vorstellen kann, denn dadurch erkennt man auf den ersten Blick, ob ein Bergweg ein, zwei absturzgefährdete, ausgesetzte Stellen aufweist oder ob vielleicht 90 Prozent des Weges absturzgefährdet sind. Diese Information ist z. B. für mich als Vater einer 7-jährigen Tochter bereits in der Planung extrem hilfreich.
a:b
Wir stehen heuer unter dem Eindruck der vielen tödlichen Unfälle auf Weitwanderwegen, sprich auf Wegen von Hütte zu Hütte. Das klingt nun so, dass dieses Tool gerade für diese Zielgruppe interessant wäre. Ist dieser Layer schon öffentlich einsehbar und wenn nein, wann ist es soweit?
KP
Ziel ist, diesen Layer bis Projektende – also bis Mitte nächsten Jahres – zur Verfügung zu stellen. Aktuell sind wir – wie erwähnt – in der Evaluierungsphase und wollen die Ergebnisse in der Fachliteratur publizieren, damit auch Experten drüber schauen. Immerhin ist es ein sicherheitsrelevantes Thema und das soll auf Herz und Nieren geprüft werden. Wenn dann grünes Licht von allen Institutionen kommt, dass der Layer gut ist und Sinn macht, dann wird er bis Mitte nächsten Jahres ebenfalls als Open Government Data verfügbar sein, um einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu sein.
a:b
Lucia, du bist für das Projekt extra angestellt worden. Nun könnte es ja tatsächlich sein, dass es sich hier um eines jener Projekte handelt, bei dem für Stakeholder und User ein echter Nutzen entsteht. Welche Ideen habt ihr noch? Wie wird es weitergehen?
LF
Ideen gibt es noch viele, ja, vor allem im Rahmen der Pilotstudien. Am E5 sollen beispielsweise noch mehr Attribute aufgenommen werden. Damit vor allem der Übersetzer funktionieren kann, braucht es eine Trennung zwischen der technischen Schwierigkeit, der Gefährlichkeit, der Konsequenz und der Naturgefahrensituation. Das wird alles aktuell von Lo.La. auf dem E5 aufgenommen und das Konzept dieser Attribute, im Besonderen die Trennung zwischen technischer Schwierigkeit und Konsequenz evaluiert, um herauszufinden, ob diese Herangehensweise zielführend ist. Zum Ende des Projekts gilt es dieses erprobte Konzept erneut zu evaluieren und so aufzubereiten, – v. a. hinsichtlich des Übersetzers – dass weitere Regionen und interessierte Wegehalter auch dieses Konzept in ihren Arbeitsgebieten anwenden könnten. Je mehr Regionen diese Attribute aufnehmen, desto weiter kann der Übersetzer verwendet werden.
Eine andere Idee ist die Gestaltung einer Homepage, auf der man die harmonisierten Datensätze einfach visualisiert – also ohne irgendein Login und ohne die Möglichkeit als User selbst Content zu generieren, sondern rein als Informationsplattform, auf der man die qualitätsgeprüften Daten abfragen kann. In diesem Zusammenhang wurde auch diskutiert, ob eine solche Homepage nicht auch nützlich wäre, um die Schnittstelle entsprechend zu kommunizieren.
KP
Bei DIGIWAY I war von Anfang an klar, dass erst einmal sehr viel Grundlagenforschung betrieben werden muss und das ist – wie man einfach zugeben muss – recht unsexy. Die Interessen der verschiedenen Stakeholder unter einen Hut zu bringen, ist schwierig und es ist auch unsexy in der Vermarktung, weil man eben nur Datengrundlagen und technische Möglichkeiten schafft. Viel „sexier“ wäre DIGIWAY II, wo es dann darum gehen würde, diese Schnittstellen zu füllen, so dass der Nutzen für die Bevölkerung greifbar wird. So gesehen wäre es wichtig, das Projekt weiter zu verfolgen und die jetzigen Grundlagen flächig auszurollen.
a:b
Ich denke, für mich als „Normaluser“ wäre es wirklich interessant, eine solche – langweilige, weil nicht geschönte Informationskarte zu haben, auf der ich mir alle Bergwege und ihre Schwierigkeitsbewertungen ansehen könnte. Damit würde man vermutlich auch bei den Tourismusverbänden oder sonstigen Anbietern mehr Bewusstsein schaffen, dass sie ihre Wandertipps und Tourenpakete nicht nur mit schönen Bildern und Worten verkaufen können, sondern auch wichtige Informationen zu den tatsächlichen Anforderungen bieten sollten. Man hätte praktisch nicht nur eine Schnittstelle, sondern auch die Möglichkeit, einen Faktencheck anhand eines validen, vertrauenswürdigen Tools zu machen.
KP
Genau. Uns geht es darum eine faktenbasierte Tourenplanung zu ermöglichen.
LF
Das ist auch der Vorteil des Absturzpotenzial-Layers. Er basiert auf einem digitalen Geländemodell, das öffentlich zur Verfügung steht, und der Weggeometrie – also den digitalisierten Weglinien. Daraus ist die direkte Absturzgefahr vom Weg in einem größeren und in einem kleineren Korridor immer unterhalb des Weges berechnet worden. Das Ganze wird aggregiert auf eine Pixelauflösung von 2,5 Metern und kann schon jetzt aufgrund des landesweit verfügbaren Geländemodells vergleichend im Karwendel, im Ötztal oder auf der Nordkette angesehen werden. Weiters wurden die Layer auch bereits für die gesamte Fläche Südtirols und Trentinos erzeugt.Weiters wurden die Layer auch bereits für die gesamte Fläche Südtirols und Trentinos erzeugt.Man hat damit die Möglichkeit, schon in der Planung zu sehen, welcher Weg absturzgefährdeter ist und welcher weniger. Eine Information, die bei einer reinen Klassifizierung nach rotem oder schwarzem Bergweg nicht herauskommt. Der Layer bringt also jedenfalls einen weiteren Mehrwert.
Aktuell sind aber auch die Wegklassifizierungen nicht digital verortet, vor allem auch nicht in einer entsprechenden Segmentierung – z. B. bis zur Hütte handelt es sich um einen roten Bergweg, von der Hütte auf den Gipfel ist es ein schwarzer. Die Leute sehen das erst draußen auf den Tafeln.
a:b
Du hast jetzt noch ein zentrales Thema angesprochen, das sich auch bei anderen Projekten schon als wichtig herauskristallisiert hat – die Segmentierung der Schwierigkeitsbewertung. Wie relevant ist diese bei euch und habt ihr diese auch berücksichtigt?
LF
Ja, das Thema haben wir auch diskutiert – im Besonderen die Thematik, dass es meist sehr lange Abschnitte sind, die aktuell mit einer Bewertung ausgestattet sind. Bei uns ist die Entscheidung gefallen, dass wir die Zuschreibung der Attribute von technischer Schwierigkeit, Konsequenz und Naturgefahren von Wegkreuzung zu Wegkreuzung machen, damit es hier eine feinere Aufgliederung gibt.
a:b
Und damit wäre das System auch perfekt routingfähig, oder?
KP
Ganz genau. Das ist einer der wesentlichen Bausteine, die man für ein ordentliches Routing braucht.
a:b
Eine solche Segmentierung macht ja sicherlich auch Sinn, wenn einmal ein Wegabschnitt beispielsweise aufgrund eines Murabganges unpassierbar ist. Wie geht ihr mit tagesaktuellen Informationen wie Wegsperren um? Werden diese auch integriert?
KP
Das ist eine gute Frage. In Tirol bauen wir zur Zeit ein solches System in erster Linie für das Thema Mountainbiken auf, denn hier sind wir schon recht weit, wenn es darum geht, qualitätsgeprüfte Daten zur Verfügung zu stellen. In diesem Bereich haben wir schon seit einigen Jahren einen OGD-Webservice, der auch genutzt wird. Diesen wollen wir nun mit Daten zu aktuellen Wegsperren verfeinern, um vor allem dem Reizthema von Wegsperren aufgrund von Waldarbeiten entgegen zu wirken. Aktuell wird oft trotz gelber Hinweistafel „forstliches Sperrgebiet“ weitergefahren, weil die Information erst vor Ort und nicht bereits in der Planung ersichtlich ist. Wir haben alle Waldaufseher mit einer eigenen App ausgestattet, wo sie solche Sperren schnell und einfach erfassen können. Diese Eingaben werden von den Wegehaltern noch einmal geprüft und u. U. Umleitungen beschrieben oder die gesamte Tour gesperrt. Diese Informationen schlagen spätestens am nächsten Tag in den Datensatz durch und können so auf den diversen Plattformen ausgespielt werden.
Das Gleiche wäre schön für das Wander- und Bergwegenetz zu haben, damit der Wegehalter bei einem Murabgang die Wegsperre auch in der digitalen Welt kommunizieren kann und nicht erst am Beginn eines Weges mit einen Absperrband. Das klingt einfach und logisch, ist aber in der praktischen Umsetzung sehr schwierig. Die Frage ist, wie kommt die Information so schnell zum Wegeverantwortlichen, wer gibt die Daten ein und – ein sehr schwieriger Punkt – wer hebt die Sperre wieder auf? Grundlage ist dafür immer ein gut gewartetes und gepflegtes digitales Wegenetz. In der Open Street Map wäre das Eintragen von temporären Wegsperren völlig sinnlos, da sie nur alle paar Wochen von den Plattformbetreibern herunter geladen wird.
a:b
Im Prinzip würde es also darum gehen, dass ich bereits bei der Tourenplanung digital alles sehe, was mich im Gelände erwartet?
KP
Ja, unsere goldene Regel lautet: Was man draußen an Schildern sieht, soll auch so in der digitalen Welt abgebildet sein. Diese Informationen dürfen nicht widersprüchlich sein.
a:b
Das ist so logisch. Aber warum gibt es diese Grundlage noch nicht? Ist es zu schwer, hat man es vergessen, ist es zu banal? Wie kann es sein, dass ihr die Ersten seid, die jetzt versuchen das umzusetzen?
LF
Ich glaube, die Wegehalter-Landschaft ist sehr unterschiedlich. Es gibt verschiedenste Organisationen, die Wegehalter sind wie etwa die Alpenvereinssektionen, Gemeinden, Tourismusverbände, Naturparke etc. Alle haben ihre eigenen Lösungen, viele Personen arbeiten ehrenamtlich, sind mit dem Wegebau vielleicht genug beschäftigt und haben nicht die Zeit, Daten auch noch digital einzugeben und zu pflegen, geschweige denn sich kontinuierlich darum zu kümmern.
KP
Abgesehen davon ist eine solche technische Umsetzung jetzt erst interessant geworden. Jetzt ist die richtige Zeit, diese Systeme aufzubauen.
a:b
Wer sollte die Aufsicht über Aufbau und laufende Aktualisierungen haben? Braucht es aufgrund der vielen Akteure eine Behörde oder sollte man eine eigene Organisation gründen? Braucht es konkrete Vorgaben? Oder ist in der digitalen Welt alles möglich – im Sinne von möglichst attraktiv, möglichst sexy?
KP
Ich denke, es geht nur über das Verständnis eines jeden einzelnen Wegehalters, dass das notwendig und wichtig ist. So etwas vorzuschreiben oder gar gesetzlich zu verankern, sehe ich als aussichtslos. Die Existenz und die Pflege des Bergwanderwegenetzes hängt von extrem vielen ehrenamtlichen Personen ab. Ich bin aber davon überzeugt, dass es in den nächsten Jahren selbstverständlich wird, dass die Arbeit eines Wegewartes nicht nur die Arbeit mit der Schaufel vor Ort bedeutet, sondern eben auch die Datensammlung über den Zustand des Weges und diese auch digital zu warten.
a:b
Wo würdet ihr gerne die Rolle oder die Bedeutung des Projektes DIGIWAY in zehn Jahren sehen?
KP
Es wäre schön, wenn DIGIWAY als Meilenstein in der Entwicklung des Wander- und Bergwegenetzes gesehen werden würde. Dass es quasi den Schritt ins neue Jahrtausend beschleunigt und geholfen hat, die Daten zeitgemäß aufzubereiten.
Links & Publikationen:
- Dieser Beitrag ist im ÖKAS Fachmagazin analyse:berg Sommer 2025 (Betrachtungszeitraum: 01.11.2023 bis 31.10.2024) erschienen.
- Chefredakteur: Peter Plattner (peter.plattner@alpinesicherheit.at)
- Abo Magazin analyse:berg Winter & Sommer
- Alpin-Fibelreihe des Kuratoriums
- Alpinmesse / Alpinforum 2025
- Kontakt ÖKAS:
Susanna Mitterer, Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit, Olympiastr. 39, 6020 Innsbruck, susanna.mitterer@alpinesicherheit.at, Tel. +43 512 365451-13

