Vorträge und Podiumsdiskussion, Alpinforum 2022
Skitouren im gesicherten Skiraum boomen wie kaum eine andere Sportart. Kein Wunder, bringt die Piste doch viele Vorteile wie leichte Routenfindung, keine Lawinengefahr, präparierte Abfahren und vieles mehr mit sich. Dass Skigebietsbetreiber aber nicht immer erfreut über den Ansturm sind, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Ein Konfliktthema also, dem man sich – vor allem in Tirol – schon vor einigen Jahren intensiv gewidmet hat.
Das ÖKAS war eine der ersten Organisation, die sich bereits vor rund 20 Jahren mit dem Trend „Pistenskitouren“ beschäftigte. Einerseits begrüßte man schon damals den positiven Effekt auf die körperliche Fitness, anderseits wollte man mit Kommunikation und Regeln verhindern, dass Konflikte eskalieren. Um Strafen und Verbote zu vermeiden, lud das ÖKAS im Jahr 2006 erstmals zu einem Runden Tisch. Gemeinsam mit den Alpinen Vereinen und den Seilbahnen entstanden damals die 10 Empfehlungen für Pistentouren.
Im Rahmen des Alpinforums 2022 setzt das ÖKAS das Thema auf die Tagesordnung und lässt, moderiert von Jurist Robert Wallner, verschiedene Personen zu Wort kommen, die sich in den letzten Jahren intensiv mit Pistentouren, der Entschärfung von Konflikten und der Schaffung von guten Angeboten beschäftigt haben.
Tiroler Konzept zur Lenkung von Pistenskitourengeher:innen
Bergwelt Tirol – miteinander erleben, Dieter Stöhr
„Wir kamen zu dem Entschluss, dass diese neue Sportart so wichtig ist, dass man sie nicht verunmöglichen kann.“
Mit „wir“ ist die Tiroler Landesregierung gemeint, die ebenfalls um 2006 erkannte, dass der Trend der Pistentouren nicht aufzuhalten ist, aber durchaus in geregelte Bahnen gelenkt werden sollte. Mit dem „Tiroler Konzept zur Lenkung von Pistenskitourengeher:innen“ wurde die Basis für alle weiteren Maßnahmen gelegt.
2016 wurde ein eigenes Beschilderungssystem entwickelt und 2021 mit dem Pistentouren Handbuch dem durch Corona verursachten Boom noch einmal Rechnung getragen. „Wir haben über 7.000 Personen österreichweit befragt, was sie sich in punkto Pistenskitour wünschen – Aufstiegsspur, Wegweiser, freiwillige Verhaltensregeln, etc.“. Außerdem wurde zu jeder Regel ein auf Humor basierendes Video gedreht. Mehr als 1 Million Zugriffe beweist, dass diese gut angenommen werden. Die Videos „Pistentouren. Bergwelt Tirol“ sind frei zugänglich und sollen vielfach geteilt werden.
Aktuell bieten in Tirol 19 Skigebiete ein Leitsystem und getrennte Aufstiegsspuren. Mehr als 30 Routen konnten damit geschaffen werden, die die Nachfrage gut abdecken.
Konfliktvermeidung durch Lenkung und klare Kommunikation der Skigebiete
SnowHow, Klaus Kranebitter
„Die Planung findet nicht wegen, sondern für die Tourengeher statt.“
Klaus Kranebitter ist überzeugt, durch die Entflechtung neuralgischer und damit unfallträchtiger Bereiche auf der Piste, sowie die klare Kommunikation von Tages- und Nachtzeiten, an denen das Pistentourengehen erlaubt ist, hat sich viel in Sachen Akzeptanz getan: „In den allermeisten Gebieten werden die Tourengeher längst als Potenzial und nicht mehr als Problem gesehen. Die Planung findet nicht wegen, sondern für die Tourengeher statt.“
Skigebietsbetreiber erkennen zunehmend, dass sie mit gelenkten und gut beschilderten Pistentouren ein zusätzliches Angebot schaffen können, das vor allem für Familien interessant ist. Allein die Parkplatzsituation ist in vielen Gebieten noch unzufriedenstellend. Die Umstellung auf eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln muss daher forciert werden und sollte keinen Nachteil, sondern einen Benefit darstellen.
Skitourenparks als innovativer Schritt einer Bergsportmarke
Dynafit, Michael Hankl
„Wir nehmen eine Vermittlerrolle ein.“
Als Bergsportausrüstungshersteller gilt es, neue Trends im Auge zu behalten. Der Trend Pistenskitouren konnte daher bei Dynafit kaum unberücksichtigt gelassen werden. Eine eigene Pistentourenkollektion wurde auf den Markt gebracht und gleichzeitig wollte man, wie Michael Hankl berichtet, eine Vermittlerrolle zwischen Deutschem Alpenverein und Tourismus einnehmen. Aus diesem Grund ging Dynafit aktiv auf Bergbahnen zu und entwickelte Konzepte für so genannte „Skitourenparks“. Aktuell gibt es vier Dynafit Skitourenparks in Österreich und Deutschland: in St. Johann in Tirol, am Pitztaler Gletscher, am Jenner und am Tegernsee. „Die Akzeptanz der Skitourengeher und -innen wächst, auch wenn die Benützung kostenpflichtig ist,“ so Michale Hankl. Die weitere Zusammenarbeit mit diversen Skigebieten ist geplant, zumal auch die Nachfrage von Seiten des Tourismus wachse.
Die Skipiste als wichtiges Traningsgebiet für Skibergsteiger in Österreich
ÖSV, Georg Wörter
„2026 soll Skibergsteigen olympisch werden.“
— Georg Wörter: Leiter Skibergsteigen im Österreichischen Skiverband
Skibergsteigen ist auch ein Wettkampfsport, dessen Sichtweise Georg Wörter einbringt. Immerhin gibt es rund 4.000 aktive wettkampforientiert Skibergsteiger und Skibergsteigerinnen in Österreich. Das Trainingsgebiet auf der Skipiste ist dabei extrem wichtig, im Besonderen am Beginn der Saison. „Bereits im Oktober haben die Sportler mehr als 18.000 Höhenmeter auf Ski in den Beinen“, so Georg Wörter. 2026 soll die Sportart Skibergsteigen übrigens olympisch werden, was sie noch einmal mehr in den medialen Fokus rücken wird.
Ein asymetrischer Markt: Konflikte zwischen Pistentourengehern und Pistenbetreibern sind in Bayern ungelöst
Stefan Beulke, Jurist und Bergführer
„Hallenkletterer des organisierten Wintersports“.
— Stefan Beulke: Jurist und Bergführer aus Deutschland, seit langem in der Alpinrechtszene tätig
„Bei uns in Bayern stellt sich der Konflikt nicht ganz so entspannt dar“, so Stefan Beulke und zeigt sich durchaus überrascht, wie groß die Akzeptanz in Tirol mittlerweile zu sein scheint.
In den Nullerjahren hätte auch in Bayern das Pistenskitourengehen an Fahrt aufgenommen, bis der Zugspitzbahn in Garmisch der Kragen geplatzt sei und sie eine Sperre verhängt hätten. Dagegen hätte ein selbsternannter „Robin Hood“ geklagt und wäre erfolgreich gewesen. „Das rechtliche Argument beruht auf einer historischen Überlegung – der Pistentourengeher war demnach schon vor dem Pistenskifahrer da.“
Dieses Urteil wurde vor allem vom Alpenverein mit Begeisterung aufgenommen. Wobei Stefan Beulke kritisch hinterfragt, wie es sein kann, dass ein Verein wie der DAV mit seiner Umweltabteilung aktiv gegen Seilbahnen vorgehe und zum Boykott aufrufe und andererseits die Bergsportabteilung im selben Haus das Pistentourengehen vermarkte.
Da aber wohl auch dem Alpenverein ein wenig mulmig war, wurden ebenfalls 10 Regeln für Pistentouren des DAV entworfen, die sich nicht wesentlich von jenen in Österreich unterscheiden – ganz nach dem Motto: „Es ist schon alles gesagt, nur nicht von jedem.“
Stefan Beulke bezeichnet die Argumentation als unehrlich. Im Wirtschaftsrecht würde man dies als „Trittbrettfahrertum“ bezeichnen. Das Pistengelände wird gezielt zum Tourengehen aufgesucht, auch von vielen, die noch nie in ihrem Leben eine echte Tour gegangen sind und dies vermutlich auch nie vorhaben. Stefan Beulke bringt es auf den Punkt: „Pistentourengeher sind die Hallenkletterer des organisierten Wintersports“.
Parkplatzgebühr und Konsum auf den Hütten reichen laut Stefan Beulke nicht aus, um die Vorteile im Skigebiet auch nur annähernd finanziell auszugleichen: „Beschilderung, sichere Schneeverhältnisse durch Kunstschnee, leichte Abfahrten, keinerlei Alpingefahren und dazu auch noch ein jederzeit verfügbarer Rettungsdienst während der Betriebszeiten.“ Für Seilbahnbetreiber sei das organisierte Pistentourengehen sehr wohl ein Problem und gehe zu Lasten der Sicherheitsmaßnahmen.
Stefan Beulkes Ausblick für Deutschland ist nüchtern: Zur Zeit herrsche ein informeller Burgfrieden, die Seilbahnbetriebe seien aber nicht glücklich und die Tourengeher in z.B. Garmisch, wo nur eine Aufstiegsspur zur Verfügung stehe, auch nicht. Auf die Dauer müsse sich etwas ändern. „Asymetrische Märkte haben noch nie funktioniert.“
Altmeyer, M. (2016): Auf der Suche nach Resonanz: Wie sich das Seelenleben in der
digitalen Moderne verändert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Brodnig, I. (2018): Lügen im Netz. Wien: Christian Brandstätter Verlag. 2. Auflage